Was genau das Abschmelzen der polaren Eiskappen heute bei dem Klima anrichten kann, ist schwer abzuschätzen.

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Wien/Innsbruck – Dass die Eismassen Grönlands dahin schmelzen, ist Tatsache. Welche Konsequenzen das für das weitere Klima haben wird, ist dagegen weitgehend umstritten. Möglicherweise könnten Entwicklungen in der Vergangenheit Hinweise auf die Zukunft unseres Planeten liefern: Es ist erst 10.000 Jahre her, da schmolz ein riesiger Eispanzer in Nordamerika – mit tiefgreifenden Folgen für das Klima in Europa und Nordwestafrika, wie nun internationale Forscher, darunter ein Innsbrucker Geologe, im Fachjournal "Nature Geoscience" berichten.

Das Wissenschafterteam aus Deutschland, Österreich und Marokko wollte wissen, wie sich die "Nordatlantische Oszillation" verhält, wenn Eisschilde und Gletscher rund um den Nordatlantik abschmelzen. Gemeint sind damit die Schwankungen des Luftdruck-Gegensatzes zwischen dem Azorenhoch und dem Islandtief im Nordatlantik.

Um das herauszufinden, nutzten sie Tropfsteine aus Nordwestmarokko und Westdeutschland als Klimaarchiv. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferten mehrjährige Messungen von Christoph Spötl vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck.

Hier trocken, dort feucht

Es zeigte sich, dass die Niederschlagsmengen im mittleren Holozän (vor 8.000 bis 4.000 Jahren) und im vorindustriellen Zeitalter um das Jahr 1800 über mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte hinweg in Nordwestafrika und in Nordwesteuropa unterschiedlich waren. Gab es in einer der beiden Regionen weniger Niederschlag, bekam die andere Region viel Wasser ab, und umgekehrt.

Heute ist das selbe Phänomen zu beobachten: Derzeit ist das Klima in Nordwestafrika trocken, wenn in Nordwesteuropa ein feuchtes Winterklima vorherrscht, und umgekehrt. Im frühen Holozän (vor 11.700 bis 8.000 Jahren) war es dagegen in beiden Regionen gleichzeitig feucht bzw. trocken.

Als mögliche Erklärung für die damalige Klimasituation nennt der Erstautor der Arbeit, Jasper Wassenburg von der Universität Mainz, das endgültige Abschmelzen des nordamerikanischen Eisschildes im frühen Holozän, der während der letzten Eiszeit große Teile Kanadas bedeckte. Gewaltige Mengen an Schmelzwasser flossen dabei in den Nordatlantik und veränderten dessen Strömungsmuster.

Zusätzlich dürfte die Eisschmelze auch Auswirkungen auf die Luftströmungen gehabt haben. Computersimulationen zeigten, dass nur eine kombinierte Wirkung des Abschmelzens auf die atmosphärische und ozeanische Zirkulation die rekonstruierten Niederschläge erklären kann.

Auf die Schmelzwassermenge kommt es an

Ein ähnliches Szenario wie im frühen Holozän sei auch heute durchaus möglich, wenn sich in der Zukunft das Abschmelzen des grönlandischen Eispanzers markant beschleunigen sollte, betonen die Forscher. Das könnte das Muster der Nordatlantischen Oszillation wieder grundlegend ändern – mit weitreichenden Folgen für die Niederschlagsverhältnisse in Europa und Nordwestafrika.

Allerdings gebe es auch entscheidende Unterschiede zwischen den aktuellen klimatischen Gegebenheiten und jenen im frühen Holozän. Deshalb sei schwer vorauszusagen, wie genau sich die Eisschmelze auf die Nordatlantische Oszillation auswirken wird. "Entscheidend wird die Menge des Schmelzwassers sein, vor allem aber die Geschwindigkeit, mit der das Abschmelzen von statten geht", erklärte Spötl. (APA, red, 19.7.2016)