Wien – Spitzenpolitiker aller politischen Richtungen haben sich am Montag von den umstrittenen Pro-Erdoğan-Demonstrationen vom Wochenende distanziert. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sagte, er sehe die Demos "mit Unbehagen", sein Vize Reinhold Mitterlehner (ÖVP) forderte "mehr Loyalität". Besonders scharf reagierten Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen und Neos-Vizechefin Beate Meinl-Reisinger.

Rund 4.000 Erdoğan-Anhänger hatten in der Nacht auf Samstag in Wien spontan gegen den Militärputsch demonstriert. Am Samstagnachmittag kam es zu einer weiteren Demonstration, bei der ein zuvor von der Polizei geräumter Gastgarten einer kurdischen Restaurantkette von den Demonstranten demoliert wurde.

Mitterlehner will mehr Respekt gegenüber Österreich

"Man muss mit einem gewissen Unbehagen sehen, wenn hier politische und religiöse Motive vermischt werden", sagte Kern am Montagabend in der "ZiB 1". "Das sind wir nicht gewohnt, das passt nicht zu unserer politischen Kultur." Aus diesem Grund habe er Vertreter der muslimischen Organisationen zu einem Gespräch eingeladen, "um einen Weg zu suchen des sinnvollen demokratischen Umgangs miteinander".

Mitterlehner forderte auf Facebook "mehr Loyalität und Respekt gegenüber Österreich als Gastland". "Mir fehlt jedes Verständnis dafür, wenn politische Konflikte aus dem Ausland zu uns importiert werden. Wir dulden in Österreich keine Parallelgesellschaften." Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sagte dem "Kurier", er sehe die Demonstrationen, bei denen es auch Sachbeschädigungen gegeben habe, "mehr als kritisch". "Unter dem Deckmantel der Demonstrationsfreiheit innenpolitische Meinungsbilder aus der Türkei in Österreich zu verbreiten, ist inakzeptabel."

Van der Bellen und Meinl-Reisinger warfen den Erdoğan-Sympathisanten vor, in Österreich jene Rechte in Anspruch zu nehmen, die ihr Idol in der Türkei mit Füßen trete. "Jene, die hier in Österreich das Demonstrationsrecht in Anspruch nehmen, müssen sehen, dass genau Rechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, unabhängige Justiz und Demonstrationsfreiheit in der Türkei von Präsident Erdoğan verwehrt werden", schrieb Van der Bellen auf Facebook. Er verurteile "jeden Versuch, den Konflikt in der Türkei in gewalttätiger Form nach Österreich zu tragen, wenn etwa bei einer Demo Kurden attackiert werden".

Pilz: "Will keine türkischen Verhältnisse in Österreich"

Meinl-Reisinger bezeichnete die Demonstrationen als "gelinde gesagt frech". "Hier demonstrieren Menschen für ein Regime, das die Demonstrationsfreiheit mit Füßen tritt", schrieb die Neos-Vizechefin am Montag in ihrem Blog. "Ja, es ist euer gutes Recht, für Erdoğan und seine Schergen und für eine fundamentalistische, nationalistische und islamische Türkei auf die Straße zu gehen. Aber bitte: Macht das doch in der Türkei!"

Kritisch äußerte sich auch der grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz. "Ich will keine türkischen Verhältnisse in Österreich haben", sagte er dem "Kurier". Die Türkische Kulturgemeinde (TKG) in Österreich forderte Demonstranten in einer Aussendung am Montag auf, keine türkischen Fahnen und keine türkischen Kampfparolen zu benützen. Das sei nämlich "ein Schuss ins eigene Knie".

Hofer macht sich wegen der Demos Sorgen

Der Präsident der Erdoğan-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), Cem Aslan, bestritt gegenüber dem "Kurier", die Demonstrationen organisiert zu haben. Auf Facebook distanzierte sich die UETD am Montag von denjenigen, die den Gastgarten der Restaurantkette Türkis angegriffen hatten. "Es handelt sich hierbei um einen niederträchtigen Angriff von Leuten/Provokateuren, die nichts mit unserer Vereinigung zu tun haben", teilte die UETD mit. "Solche Aktionen werfen einen Schatten auf den Sieg jener furchtlosen Menschen, die es geschafft haben, einen grausamen Putsch zu verhindern."

Bereits am Sonntag hatten FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die Demonstrationen kritisiert. Hofer sagte, er mache sich wegen der Demos "Sorgen" um Österreich, das wegen seiner Zuwanderungspolitik "leichtfertig an Radikale" verschenkt werde. Kurz sagte der "Kronen Zeitung", als Integrationsminister erwarte er sich "von Menschen, die bei uns leben, dass sie ihrem neuen Heimatland gegenüber loyal sind und es aus Respekt unterlassen, politische Konflikte nach Österreich zu importieren". (APA, 19.7.2016)