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Russische Athleten waren auf die Dopingkontrollen bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi gut vorbereitet.

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Berichtete: Chefermittler Richard McLaren.

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Toronto – Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat Beweise für ein vom russischen Staat angeordnetes und von höchsten politischen Kreisen gedecktes Dopingsystem. Das geht aus dem am Montag in Toronto vorgestellten Wada-Bericht des kanadischen Juristen Richard McLaren hervor. Die Wada forderte als Konsequenz den Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im August.

Man rufe die Sportbewegung auf, den russischen Sportlern die Teilnahme an internationalen Sportereignissen inklusive Rio zu verwehren, bis sich ein Kulturwandel vollzogen hat, teilte Sprecher Ben Nichols auf Twitter mit.

Die von Chefermittler McLaren zutage geförderten Fakten bestätigten also den Verdacht, dass mithilfe staatlicher Stellen, etwa des Geheimdiensts, Proben verfälscht wurden und russische Athleten, darunter 15 Medaillengewinner der Winterspiele von Sotschi 2014, gedopt an den Start gehen konnten. Bei allen Fläschchen mit den Proben wurden Manipulationen festgestellt, alle Deckel waren entfernt und später wieder angebracht worden.

Jahrelange Manipulation

Doch nicht nur die Spiele von Sotschi beziehungsweise Wintersportler sind betroffen: "Russische Athleten aus den meisten Sommer- und Wintersportarten" hätten von der Manipulationsmethode profitiert, die von "mindestens Ende 2011 bis August 2015" geplant und angewandt worden sei. McLaren bestätigte damit Aussagen des russischen Kronzeugen Gregori Rodtschenkow. Der 57-Jährige war bis 2015 Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors. Im Jänner floh er nach Los Angeles, weil er in Russland angeblich um sein Leben fürchtete.

"Ich bin sehr überzeugt von unseren Ergebnissen. Wir haben viele Beweise, die keine Zweifel zulassen", sagte McLaren. Empfehlungen für Konsequenzen gibt sein Bericht nicht, dennoch bringt er vor allem das Internationale Olympische Komitee (IOC) 18 Tage vor Beginn der Sommerspiele unter Zugzwang.

Bach: "Härteste Sanktionen"

IOC-Präsident Thomas Bach hat denn auch mit Entsetzen auf die Veröffentlichung reagiert und erste Entscheidungen für Dienstag angekündigt. "Die Ergebnisse des Berichts zeigen einen erschreckenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und der Olympischen Spiele", wurde Bach zitiert. "Daher wird das IOC nicht zögern, die härtesten Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisation zu treffen."

Das IOC werde die komplexen und detaillierten Anschuldigungen insbesondere gegen das russische Sportministerium prüfen. In einer kurzfristig anberaumten Telefonkonferenz werde das IOC-Exekutivboard am Dienstag beraten, um erste Entscheidungen zu treffen, die auch "vorläufige Maßnahmen und Sanktionen" mit Blick auf Rio beinhalten könnten.

Nationale Anti-Doper machen Druck

Der oberste US-Dopingfahnder Travis Tygart, der einst Lance Armstrong zur Strecke brachte, forderte Bach in einem Brief dazu auf, noch "vor dem 26. Juli zu handeln und Russland, sein Olympisches und Paralympisches Komitee sowie sämtliche russischen Sportverbände von den Spielen in Rio auszuschließen". Die gleiche Forderung kam bereits am Wochenende von 20 Nationalen Anti-Doping-Agenturen.

Russland hatte schon vor der Veröffentlichung harten Widerstand gegen eine Komplettsperre angekündigt. "Es gibt ein Arsenal an rechtlichen Mitteln für die Verteidigung der Interessen der Sportler, und Russland wird es bis zum Letzten ausschöpfen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Für Dmitri Swischtschjow, den Chef des Sportausschusses des Parlaments, ist "Doping ist nur ein Vorwand, um Konkurrenten auszuschalten. Anstifter sind wohl die USA." Auch Sportminister Witali Mutko hat die Anschuldingungen stets zurückgewiesen und sieht sein Land als Opfer einer westlichen Verschwörung.

Putin kündigt Konsequenzen an und fordert mehr Informationen

Präsident Wladimir Putin hat nach den Wada-Vorwürfen erste Maßnahmen angekündigt. "Funktionäre, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen suspendiert werden", teilte Putin am Montag mit. Zugleich forderte er von der Wada mehr "objektive" und auf Fakten basierende Informationen. Bereits seines Amtes enthoben wurde der schwer belastete stellvertretende Sportminister Juri Nagornich.

Putin kritisierte den Bericht als Rückfall in die 1980er-Jahre. Damals hatte zunächst der Westen 1980 die Sommerspiele in Moskau boykottiert, vier Jahre später hatte die UdSSR eine Teilnahme an den Spielen in Los Angeles abgesagt. Damals sei der Sport als Geisel genommen worden, sagte Putin. "Jetzt beobachten wir einen gefährlichen Rückfall zu einer Einmischung der Politik in den Sport." Der Sport werde so zu einem Instrument geopolitischen Drucks.

Zugleich kritisierte Putin, dass der Wada-Bericht auf den Aussagen einer Einzelperson mit einem "skandalösen Ruf" basiere – eine Anspielung auf Whistleblower Rodschenkow.

(sid, APA, red, 18.7. 2016)

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Bericht der McLaren-Untersuchung zum Download