Heute trägt man den Fes praktisch nur mehr in Marokko und in Algerien.

Foto: Getty / iStock / popovaphoto

Wenn einer einen Fes trägt, ist er dann

1. ein armenischer Schäfer,

2. ein Türke oder

3. ein indischer Nationalist?

Ein Mann namens Morgan Gould aus Mexiko-Stadt schickte 1954 dieses Huträtsel bei einer Zeitschrift ein. In der Tat gibt es kaum ein Kleidungsstück, das einen derart starken Bedeutungswandel durchgemacht hat wie der Filzhut mit Quaste.

Die rote kegelförmige Kopfbedeckung wurde geliebt und verteufelt, mit allen möglichen Zuschreibungen bedacht und wieder umcodiert. Heute trägt man ihn praktisch nur mehr in Marokko und in Algerien.

Doch bereits in byzantinischer Zeit war im Mittelmeerraum eine Variation des Fes beliebt. In Südasien ist er deshalb unter dem Namen Rumi Topi, "die Kopfbedeckung von Byzanz", bekannt. In Indonesien und Malaysia heißt er Songkog.

Im Osmanischen Reich wurde er erst im 19. Jahrhundert von Sultan Mahmud II., der von 1808 bis 1839 herrschte, eingeführt – und zwar als Teil einer Reform. Mahmud II. ließ zuerst die Janitscharen beseitigen und schuf stattdessen 1826 modern ausgestattete Truppen, genannt Nisami, die mit der neuen Uniform auch den Fes auf den Kopf gesetzt bekamen. "Der Fes wurde zum Symbol für die Modernisierung", erklärt der Sarajevoer Rechtsprofessor Fikret Karcic.

Doch nicht alle waren glücklich damit – insbesondere jene, die gegen jede Europäisierung waren, weil sie als Feudalherren um ihre Privilegien fürchteten. In Bosnien-Herzegowina kam es unter General Husein Kapetan Gradascevic sogar zur Rebellion gegen den Fes, diese "inakzeptable Innovation" aus Istanbul.

Aussehen wie die anderen

Der Fes wurde im Osmanischen Reich danach aber von Muslimen und von Nichtmuslimen getragen. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts musste noch jeder Angehörige einer religiösen Gruppe eine bestimmte Kleidung tragen, die ihn oder sie als Mitglied dieser Gruppe erkennbar machte.

Der Fes sorgte für Aufregung, weil Mahmud II. diese Vorschriften aussetzte. "Insbesondere für Nichtmuslime war der Fes nun wichtig, weil sie endlich die Möglichkeit hatten, so auszusehen wie die anderen", so Karcic. "Er hatte eine egalitäre Eigenschaft, durch ihn konnte man nicht mehr unterscheiden, wer wer war." Klasse und Religion traten in den Hintergrund. Für die Serben gehörte er auch zur Alltagskleidung. Nach seiner Einführung wurde er vor allem von Beamten und Intellektuellen in den Städten getragen.

Die großen Fes-Produktionsstätten befanden sich zunächst nicht im Osmanischen Reich, sondern etwa im tschechischen Strakonice, wo es noch heute ein Fes-Museum gibt. Die Kopfbedeckung wurde dort einfach billiger produziert. Als die Österreicher Bosnien-Herzegowina besetzten, wollten sie zeigen, dass sie die bosnischen Traditionen respektierten: Der Fes wurde Teil der Uniform – in grauer Farbe.

Exotisch und orientalisch

Damals, Ende des 19. Jahrhunderts, war er überall in Europa als Erkennungszeichen für Kolonialtruppen beliebt. Die europäischen Mächte schrieben den afrikanischen Soldaten in ihren Kolonien den Filzhut mit der Quaste vor. Und für die Österreicher war Bosnien-Herzegowina so etwas wie ihre Kolonie.

Der Fes galt als exotisch und orientalisch. Es zeugte von romantischem Schick, wenn man sich in europäischen Hauptstädten in orientalischen Cafés traf, die Wasserpfeife rauchte und einen Fes auf den Kopf setzte. Der Meinl-Mohr ist ein Beispiel dafür. Der Fes wurde sogar in Geheimbruderschaften und mystischen Orden eingeführt.

Mit dem Islam hatte die Kopfbedeckung zu der Zeit noch immer nichts zu tun, denn den Fes mussten alle bosnischen Soldaten tragen – egal ob katholisch, orthodox oder muslimisch. Allerdings sahen die Muslime auf dem Balkan den Fes mehr und mehr als etwas, das zu ihnen als Religionsgruppe gehörte.

Die Fixierung auf den roten Filzhut ging so weit, dass sogar Migranten, die Anfang des 20. Jahrhunderts quer über den Erdball nach Neuseeland auswanderten, um nach Kauri-Harz zu graben, ihren Fes partout nicht absetzen wollten, wie der Forscher Abdullah Druri herausfand.

Herzegowinische Sturköpfe

Ein Herzegowiner namens Mustafa Fetahagic wandte sich im Jahr 1907 sogar an den kaiserlich-königlichen österreichisch-ungarischen Konsul Eugene Langguth in Auckland. Und Langguth schrieb tatsächlich an den damaligen neuseeländischen Justizminister McGowan: "Zwei herzegowinische Untertanen von mohammedanischer Religion mussten kürzlich vor dem Gericht in Dargaville erscheinen. Als sie das Gericht betraten, wurde ihnen gesagt, sie sollten ihren Fes abnehmen."

Dadurch seien ihre Gefühle verletzt worden. Langguth meint, dass er sicher sei, dass der Beamte vor Ort dies nur verlangt habe, weil er nicht mit den "Vorschriften des Koran" vertraut gewesen sei. Er bat den Minister, dass die Herzegowiner künftig ihren Fes vor Gericht tragen dürften.

"Nachdem England viele mohammedanische Untertanen in Indien hat, ist es einfach herauszufinden, wie diese vor Gericht behandelt werden, wenn es um die Kopfbedeckung geht", rät der Konsul den Briten, auf die Praxis in den eigenen Kolonien zurückzugreifen.

Der Minister antwortet einen Monat später im Oktober 1907: Es sei vor allen englischen Gerichten die Praxis, dass die Parteien unverhüllt erscheinen. "Aber es gibt keinerlei Verlangen, den religiösen Glauben von jemandem zu beleidigen", setzt James McGowan fort. "Wenn es diesen Gentlemen aus der Herzegowina wegen ihrer Religion nicht erlaubt ist, ihre Köpfe zu enthüllen, so denke ich, sollte ihnen auch nicht vorgeschrieben werden, dies zu tun."

Es ist nicht überliefert, ob die sturen Herzegowiner am Ende ihren Fes vor Gericht tragen durften, die Causa zeigt aber, dass Debatten um Kopfbedeckungen nicht neu sind. Ein Jahr später übrigens, als Österreich-Ungarn Bosnien-Herzegowina annektierte, protestierten viele Palästinenser aus Solidarität mit ihren muslimischen Brüdern auf dem Balkan gegen den Anschluss und boykottierten die Einfuhr aller Waren aus der Monarchie – auch jene des Fes. Bis dahin war der weiße Fes für die Palästinenser aus Österreich-Ungarn gekommen. Nun bestellte man ihn aus der Türkei.

Symbol "islamischer Identität"

In der Türkei selbst ließ Atatürk den Fes 1925 verbieten. In Bosnien wurde er noch in der Zeit des Königreichs Jugoslawien getragen, aber er wurde immer mehr zum Symbol "islamischer Identität", wie Karcic erklärt. Jene, die europäisch und modern sein wollten, legten ihn ab.

Zwischen den zwei Weltkriegen gab es unter muslimischen Intellektuellen eine rege Debatte. Sie empfahlen nun, einen Hut als Zeichen der Modernität zu tragen. Doch manche Religionsgelehrte lehnten dies ab, weil ihnen der Hut zu säkular erschien. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Fes von den Nazis noch einmal für das Militär, die SS-Handschar-Division, eingeführt, die aus Bosnien-Herzegowina rekrutiert wurde.

Danach verschwand der Fes langsam vom Balkan. Als muslimische Kopfbedeckung wurde nun das französische Barett eingeführt, in schwarzer Farbe, das heute noch von älteren Muslimen auf dem Balkan getragen wird. Es hat den Vorteil wie der Fes, keine Schirmkappe zu haben, die beim Niederknien beim Gebet stören könnte.

Der Fes wird heute in Bosnien-Herzegowina nur mehr zur Folklore aufgesetzt. In den Volkstrachten in Montenegro und Kroatien kann man Variationen davon sehen. Eine Variante mit sehr langer Quaste gehört noch immer zur Uniform der Präsidentengarde in Griechenland – ein Überbleibsel der Osmanen.

Politische, religiöse Mütze

Heute wird in Bosnien-Herzegowina nicht nur über das Kopftuch gestritten (es ist für Angestellte des Gerichts verboten), sondern auch über die weiße Strickhaube der Salafisten. Die Salafisten wollen mit diesem Kleidungsmerkmal erkennbar sein und sind zuweilen offenbar genauso stur wie die Herzegowiner mit ihrem Fes vor hundert Jahren.

Als etwa Husmet Hamidovic im Jahr 2012 vor einem bosnischen Gericht erschien, weigerte er sich, seine weiße Mütze abzusetzen. Er wurde zu 5000 Euro Strafe verurteilt, die später auf 1500 Euro herabgesetzt wurde. Doch Hamidovic zahlte nicht und musste 30 Tage ins Gefängnis. Der Fall liegt nun vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg.

"Das Ganze ist schwierig. Denn wer kann bestimmen, ob diese Mütze nun politisch oder religiös gemeint ist?", meint Karcic. Er würde die weiße Haube zulassen, wenn man gleichzeitig auch die Kopfbedeckungen für Sikhs und orthodoxe Juden erlaube. (Adelheid Wölfl, 17.7.2016)