Juristische Texte lesen und verstehen, bezüglich Fragen Hypothesen entwickeln und Antworten generieren inklusive Zitationen und Referenzen: Das können die Robo-Anwälte schon.

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Die Automatisierung schreitet immer schneller voran. Bei der Nachrichtenagentur AP schreiben "Roboterjournalisten" automatisiert Sport- und Finanzberichte. In China wurde kürzlich ein Roboterpolizist präsentiert, der autonom in Gefahrengebieten patrouillieren soll. Und bei Großbanken managen Robo-Advisors das Portfolio der Kunden. KI-Systeme verarbeiten viel schneller Informationen als Menschen, sie sind unermüdlich, streiken nicht und wollen keine Gehaltserhöhung. Grund genug, sie auch in anderen Bereichen einzusetzen.

Die US-Anwaltskanzlei Baker & Hostetler hat kürzlich vermeldet, dass sie einen ersten Roboterjuristen eingestellt habe. Der Künstliche-Intelligenz-Anwalt, der auf Basis von IBMs Watson-Technologie entwickelt wurde, soll in der 50-köpfigen Insolvenzabteilung der Kanzlei zum Einsatz kommen, die auch schon Fälle in Zusammenhang mit dem Betrüger Bernie Madoff bearbeitete.

Gelehriger Schüler

Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die künstliche Intelligenz nun Bankrotteure der Realwirtschaft abwickelt. Ross, wie der Roboteranwalt heißt, wurde so programmiert, dass er juristische Texte lesen und verstehen kann und bezüglich Fragen Hypothesen entwickelt und Antworten generiert (mit Zitationen und Referenzen). Je mehr man mit dem Bot interagiert, desto mehr lernt er dank maschinellen Lernens dazu und desto schneller bearbeitet er Aufträge. "Sie können Ihre Fragen in klarem Englisch stellen, so wie Sie sich an einen Kollegen wenden würden. Ross durchforstet daraufhin den gesamten Rechtskorpus und liefert Leseempfehlungen aus der Gesetzgebung, Rechtsfällen und Sekundärquellen", heißt es auf der Website. "Zusätzlich beobachtet Ross das Gesetz rund um die Uhr, um Sie über neue Gerichtsentscheidungen, die Ihren Fall berühren könnten, zu unterrichten."

Roboteranwälte könnten zwei drängende Probleme lösen. Zum einen könnten sie die teils horrenden Prozesskosten senken und großen Teilen der Bevölkerung Zugang zur Rechtshilfe gewähren. 80 Prozent der Amerikaner können sich keinen Anwalt leisten. Zum anderen könnten sie die Einstiegshürden für den Anwaltberuf senken und jungen Berufsanfängern die Chance bieten, sich in einer Kanzlei mit gemieteter Robo-Intelligenz selbstständig zu machen.

In einigen US-Anwaltskanzleien werden bereits KI-Systeme eingesetzt, die Akten und andere Vorgänge so gut aufbereiten und recherchieren, wie es sonst nur Praktikanten oder Rechtsanwaltsfachangestellte können.

Maschineller Rechtsgehilfe

Freilich ist das KI-System noch nicht in der Lage, selbstständig Gutachten zu erstellen oder komplexe Fälle zu bearbeiten. Dazu müsste die Software die juristische Falllösungstechnik beherrschen, Informationen aus dem Sachverhalt destillieren und sie unter die Tatbestandsmerkmale der Rechtsnormen subsumieren. Doch kann sich der Roboter schneller in die Rechtsmaterie einarbeiten und hat auch einen besseren Überblick über Gerichtsentscheidungen, die für den Fall instruktiv sein können.

Vorstellbar wäre eine automatisierte Rechtsberatung für standardisierte Fälle (etwa Erbrechtsstreitigkeiten oder Verkehrsdelikte), für die er ähnlich wie bei Googles automatischer E-Mail-Beantwortung typisierte Lösungen generiert. Das wirft natürlich die Frage auf, ob man Juristen überhaupt noch braucht.

Der britische Jurist und Informatikspezialist Richard Susskind schrieb in seinem BuchThe End of Lawyers (2009), dass Juristen in aller Welt, in der automatisch Verträge generiert und Konventionen ohne Zwischenschaltung intermediärer Akteure geschlossen werden, wenn nicht überflüssig würden, so doch ihre Bedeutung abnehmen werde.

Roboter als Exekutoren

Das Recht könnte sich wie der Zucker in einer Kaffeetasse auflösen und durch globale Standards, Parteiprogramme und Soft Law ersetzt werden. Die Brüsseler Rechtsprofessorin Mireille Hildebrandt hat in der Zeitschrift Modern Law Review ("Law as Information in the Era of Data-Driven Agency") die These aufgestellt, dass das Recht im Internet der Dinge zu einer bloßen Information degeneriert, die Algorithmen exekutieren. Schon heute werden mithilfe der Blockchain-Technologie sogenannte Smart Contracts aufgesetzt, die automatisch Rechtsfolgen auslösen.

Gerät der Mieter in Zahlungsverzug oder Liquiditätsschwierigkeiten, würde der Schlüssel beim Betreten der Wohnung automatisch blockieren (vergleichbar dem Sperren einer Kreditkarte). Anwälte oder Notare bräuchte es dann dafür zumindest nicht mehr. Doch bis die Roboteranwälte Einzug in die Anwaltskanzleien halten, werden wohl noch ein paar Jahre vergehen. Und dann wird sich weisen, was sie dort tun. (Adrian Lobe, 17.7.2016)