Seit wenigen Wochen im Amt, konnte Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi noch nicht überzeugen.

Foto: AFP / Andreas Solaro

Bürgermeisterin Virginia Raggi beim Lokalaugenschein in Rom.

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In Italiens Hauptstadt haben die Kinder ein neues Spiel erfunden: Ratten zählen. Und das geht so: Man sucht sich einen Abfallcontainer, um den herum möglichst viele stinkende Müllsäcke liegen – das dauert in Rom nicht lange. Dann schleudert man Steine oder Bälle gegen den Container, worauf in aller Regel etliche Nager das Weite suchen. Rekordverdächtige 25 Ratten hat eine Gruppe von "ragazzi" unlängst bei einem einzigen Container aufgescheucht. Einer der Buben hat das Spiel mit seinem Handy gefilmt und das Video im Internet hochgeladen.

Neuer Volkssport unter Roms Jugendlichen: Ratten zählen. Das Ergebnis wird per Handyvideo festgehalten und dokumentiert.
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Der mehrminütige Rattenfilm sorgte für Aufsehen. Die neue römische Bürgermeisterin Virginia Raggi von Beppe Grillos Protestbewegung M5S begab sich umgehend ins heruntergekommene Vorstadtviertel Tor Bella Monaca, wo das Video gedreht worden war, um der Bevölkerung Abhilfe zu versprechen. "Schockiert" zeigte sie sich, und "wer glaubt, er kann Rom wie eine Müllhalde behandeln, dem rate ich zur Vorsicht: Meine neue Stadtregierung erwägt eine harte Verschärfung der Strafen für Umweltsünder!"

Schleichender Notstand

Einfach wird es nicht werden, Rom vom Dreck und den Ratten zu befreien: In der Ewigen Stadt herrscht seit Monaten ein schleichender Müllnotstand. Die Schuld liegt nicht bei der "Neuen", Raggi, sondern hauptsächlich bei ihrem Vorgänger Ignazio Marino. Der hatte die Mülldeponie, auf der die in Rom täglich anfallenden 5.000 Tonnen Abfall jahrzehntelang entsorgt worden waren, kurzerhand schließen lassen.

Das war einerseits verdienstvoll, da die größte offene Mülldeponie Europas – gemessen an den geltenden EU-Normen – ohnehin seit langem illegal war. Andererseits verabsäumte es Marino leider, ein modernes Entsorgungssystem herzustellen. Müllverbrennungsanlagen gibt es in Rom nämlich nicht.

Der Hauptstadtmüll wird seither nach Norditalien oder sogar über die Grenze nach Deutschland und in die Niederlande gekarrt. Das funktioniert mal gut und mal weniger gut – und so entstehen in Rom immer wieder Müllberge auf den Straßen.

Dieser gedeckte Tisch hat die Rattenpopulation sprunghaft ansteigen lassen: Inzwischen wird ihre Zahl auf sechs bis neun Millionen Exemplare geschätzt, was zwei bis drei Ratten pro menschlichen Bürger entspricht. Verschlimmert wird die Plage durch den zunehmenden Ausfall der natürlichen Feinde der Nager: der Katzen. Diese sind in Rom in den vergangenen Jahren systematisch sterilisiert worden, und die verbliebenen werden von tausenden "Katzenmamas" hingebungsvoll gemästet. Klar, dass sie jede Lust auf die Rattenjagd verlieren.

Politische Ernüchterung

Inzwischen macht sich bei vielen Römern politische Ernüchterung breit: Von dem Neuanfang, den die 37-jährige Hoffnungsträgerin Raggi im Wahlkampf versprochen hatte, ist drei Wochen nach ihrem Amtsantritt noch nichts zu sehen. Das liegt daran, dass sie nach der Wahl große Probleme hatte, überhaupt eine Regierungsmannschaft zusammenzustellen. Raggi musste etliche Absagen prominenter Politiker hinnehmen, andere Wunschkandidaten wurden wiederum von Parteichef Grillo verhindert.

Es steht viel auf dem Spiel für die Protestbewegung: Das Regieren in Rom ist die Generalprobe für eine Machtübernahme auf nationaler Ebene. Da will man sich keinen Lapsus leisten. Nun ist die städtische Regierungsmannschaft aber komplett, und die Generalprobe kann endlich beginnen: mit einer rabiaten Rattenjagd. (Dominik Straub aus Rom, 15.7.2016)