Wien – Die Zahlen wirken auf den ersten Blick wie eine Sensation, sorgen spätestens nach dem zweiten aber für Kopfschütteln. Während vielen reichen Ländern ihr schwaches Wirtschaftswachstum zu schaffen macht, hat die irische Volkswirtschaft im Vorjahr um 26,3 Prozent zugelegt. Das gab die Statistikbehörde des Landes, der Ökonomen und Analysten weithin Vertrauen schenken, bekannt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Töpfe voller Gold scheinen plötzlich in den irischen BIP-Statistiken aufzutauchen.
Foto: reuters / young

Zur Einordnung: Hierzulande ist die Wirtschaft im Vorjahr um ein Prozent gewachsen. In den USA, wo die Konjunktur viel besser läuft, um 2,4 Prozent. Wie kommt die irische Wunderwachstumsrate also zustande?

Man könnte es so ausdrücken: Irland opfert für seinen Status als Steueroase, der Weltkonzerne wie Facebook oder Google angezogen hat, die Sinnhaftigkeit seiner Statistiken. Das Land musste während der Krise noch vom Euro-Rettungsschirm mit Milliarden aufgefangen werden. Der schnelle wirtschaftliche Aufschwung, den viele Ökonomen bewunderten, wird nun aber angezweifelt. Im Vorjahr verzerrte eine Vielzahl von Ereignissen die offizielle Statistik.

Grafik: Der Standard

So haben Medienberichten zufolge viele Firmen ihre Patente in irische Gesellschaften verlagert. Darunter soll auch der US-Konzern Apple sein. Wer etwa das Recht an einer Marke hat, kann von anderen Millionen an Lizenzgebühren verlangen. Diese Einnahmen laufen nun über Irland, wo dafür nur sehr geringe Steuern anfallen. Obwohl im Land nichts zusätzlich produziert wird, steigert das die Wirtschaftsleistung.

Denn wenngleich Irland auf Druck der EU hin einige Schlupflöcher gestopft hat, zahlen Firmen weiterhin nur 12,5 Prozent Steuern auf Gewinne. In Österreich sind es 25 Prozent. Für Einnahmen aus Patenten ist in Irland noch einmal deutlich weniger zu zahlen.

Konzerne ziehen nach Dublin

Gleichzeitig haben einige Konzerne ihren Sitz nach Irland verlagert. Aercap, eine niederländische Firma, die Flugzeuge verleast, hat Maschinen im Milliardenwert ins Land gebracht, um Steuern zu sparen. Auch zahlreiche US-Unternehmen wissen die Vorzüge Irlands zu schätzen. So hat der Konzern Medtronic eine irische Medizintechnikfirma um Milliarden Dollar gekauft und seinen Sitz so nach Dublin verlegt.

All das bläht die Wirtschaftsleistung des Landes künstlich auf. Paul Krugman sprach wegen der 26 Prozent von einer "Kobold-Ökonomie", die Zahlen würden keinen Sinn ergeben. Ist die Erholung der irischen Wirtschaft, die in Krisenländern wie Spanien gerne als Vorbild angepriesen wird, also nicht mehr als eine Fata Morgana?

Niedrig aber hoch

Nein, sagt der Ökonom David Duffy dem STANDARD. Das wahre Wachstum betrage derzeit wohl zwischen fünf und sechs Prozent. Das ist noch immer erstaunlich hoch. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2012 fast halbiert, ist aber noch immer doppelt so hoch wie vor der Krise. Die Armut ist explodiert, sie geht nur langsam zurück, die Einkommen steigen kaum.

Aber auch wenn das Wachstum real niedriger ist, der irische Finanzminister darf sich freuen: Denn obwohl Konzerne nur wenig Steuern zahlen – ein Land mit vier Millionen Menschen wird auch von ein paar Bröseln von Google oder Apple satt. (Andreas Sator, 14.7.2016)