Sie haben genug für ihre Kunst gelitten, jetzt sind wir dran: Das US-Duo Eadyy und The OGM alias Ho99o9 ging mit seinem brutalen Hardcore-Punk und Hardcore-Rap im Wiener Fluc erstmals gegen ein österreichisches Publikum vor. Eine intensive und unerbittliche Show des Jahres.

Foto: Subversiveinc.

Wien – Möglicherweise hängt es ja einfach auch mit dem Älterwerden zusammen. Man wird ängstlicher und hört sehr viel leichter die Flöhe husten. Aber eines ist schon ziemlich offensichtlich: Irgendwie scheint die ganze Welt immer noch aggressiver zu werden.

Aktuelle Beispiele: Am Flughafen aggressiv vordrängeln, weil man dann mit dem Flieger bekanntlich schneller am Zielort ankommt als die anderen Passagiere, aber total zornig werden, wenn man dafür kritisiert wird. Wildfremde Kleinkinder in der Straßenbahn zusammenschreien, weil sie quengeln: Hallo, eine Ruhe ist jetzt! Vor allem aber ist ein Autofahrer, der am Wiener Gürtel im Baustellenbereich bei einer hellroten Ampel in die Kreuzung fährt, obwohl es auf der anderen Seite nicht weitergeht, gut beraten, zur Selbstverteidigung eine Schusswaffe mitzuführen.

Ho99o9

Es könnte nämlich sein, dass nicht alle anderen Autofahrer einsehen, dass einiges für die folgende These spricht: Wenn alle anderen Verkehrsteilnehmer immer nur komplette Trotteln und Vollkoffer sind, zählt man sehr wahrscheinlich auch selbst dazu. Die anderen bilden sich im Straßenverkehr ja auch eine Meinung. Okay, wie der Amerikaner sagt: Wir kriegen das Bild.

Ho99o9 wollen als "Horror" ausgesprochen werden. Als Alleinstellungsmerkmal schreiben sie sich aber falsch, was in Underground-Kreisen gewöhnlich als richtig empfunden wird. Ho99o9 sind vor einiger Zeit von New Jersey nach Los Angeles umgezogen. Dort geht es immer schon etwas härter zu als zum Beispiel am Fünfhauser Gürtel in Wien. Wenn man in L.A. beim Autofahren jemandem den Mittelfinger zeigt, besteht die tatsächliche Möglichkeit, dass dieser Jemand zurückschießt. In Wien wird einstweilen noch nur gehupt, das Fenster heruntergelassen und schlimme Worte aus dem Auto gebrüllt. Andererseits hat das fast genau so viel mit Rap zu tun wie ein Schusswechsel.

Sehr wahrscheinlich war zwischen Kalifornien und Rudolfsheim-Fünfhaus aber noch nie jemand derartig zornig wie Eaddy und The OGM, die beiden Protagonisten von Ho99o9. Gemeinsam mit einem milchgesichtigen Schlagzeuger fallen die zwei Brülltiere über die Leute im Wiener Fluc her – und sie nehmen im Anschluss an die Show nur knapp keine Geiseln, um damit bei der Weltregierung Gold, Ruhm, Ehre und zur Beruhigung gegen das Nervöse Rauchwaren oder lebenslänglich grüne Ampelphasen ohne Staugefahr einzufordern.

Ho99o9

Ho99o9 haben in ihrem Leben in sozialen Brennpunkten genug für ihre Kunst gelitten. Nun ist das Publikum an der Reihe. Musik als Strafe, Raps als emotionales Entlastungsgerinne, Auszucken als hohe Kunstform.

Eine Show des Jahres

Ho99o9 kombinieren dabei die Härte des US-Hardcore-Punk mit der Unerbittlichkeit des HipHop. Als Referenznamen tauchen immer wieder Public Enemy aus den 1990er-Jahren oder die Bad Brains und The Dead Kennedys aus den frühen 1980er-Jahren auf, die wütenden Gründerväter des Hardcore, die mit Songs wie Pay To Cum oder California Über Alles immer noch als Vorbild dienen.

Ho99o9

Ein Gitarrensample der Dead Kennedys brettert irgendwann auch verzerrt und mit Hochgeschwindigkeit aus dem Sampler. 160 Beats pro Minute, dem systolischen, mild-hypertonischen Blutdruck angepasst, dann in den meist nicht gebrüllten, sondern brüll-gerappten Zwischenteilen entschieden unter den diastolischen Wert fallend: Ho99o9 liefern eine Show hart am Puls der Zeit. Immer in die Vollen. Hass, Wut, Zorn. Danach geht es kurz wieder gut. Die Zeiten waren nie besser, heute sind sie besonders schlecht. Da kann einem schon einmal das Geimpfte aufgehen.

Eaddy und The OGM werfen sich mit nacktem Oberkörper auf der Bühne herum als hätten sie zu viel Aufputschmittel genommen. Ihre weißen Augäpfel sind sehr nah am Endverbraucher dran. Der Schweiß spritzt, die Luft riecht metallisch. Nach einer halben Stunde ist eine Show des Jahres vorüber. Geiseln werden keine genommen. Diese Nacht wird am Gürtel aber wieder sehr viel gehupt. Schüsse hört man selten. (Christian Schachinger, 12.7.2016)