Anna ist aus Finnland. Marie aus Frankreich, Yuval aus Israel, Anno aus Holland und Juliett aus den USA. Sie alle sind um die 20 und Studenten. Sie engagierten sich als Volunteers in einem Flüchtlingslager auf der ostägäischen Insel Leros.

Bis Ende vergangener Woche. Da mussten sie und ein paar andere Hals über Kopf die Insel verlassen. Nach einem Aufruhr im Lager rotteten sich etwa 30 lokale Griechen zusammen, bedrohten die Flüchtlinge – und die Volunteers. Eine üble Mischung aus lokaler Politik, Inkompetenz, möglicherweise auch bösem Willen und ethnisch-religiösen Spannungen unter den Flüchtlingen. Fast ein Modellfall der Realität der Flüchtlingskrise.

Nach den Erzählungen der jungen Leute und griechischen Presseberichten entstand folgende Situation: Auf Leros sind rund 700 Flüchtlinge in Lagern. Dort halfen Freiwillige der griechisch-österreichischen NGO Echo100plus: Essen und Kleidung austeilen, Kinder betreuen, einfach kümmern – was die griechischen Offiziellen ungern tun. Es gibt einen "Hotspot", in dem über den Asylstatus entschieden wird. Obwohl seit dem Abkommen der EU mit der Türkei viel weniger Bootsflüchtlinge kommen, warten die Menschen dort schon monatelang auf eine Entscheidung.

Offenbar verschärft wurde die Situation dadurch, dass aus einem anderen Lager 80 Pakistanis und Afghanen, überwiegend unbegleitete männliche Minderjährige ohne Asylchance, nach Leros verlegt worden waren. Es begannen Krawalle, die Polizei schoss Tränengas in die Wohnquartiere.

Dann verließen plötzlich 120 Jesiden, eine religiöse Minderheit, die von Muslimen als "Teufelsanbeter" betrachtet wird und die furchtbar unter dem "Islamischen Staat" (arabisch Daesch) leidet, das Lager. Sie sagten, im Lager sei Daesch und zogen zum Hafen. Dort wurden sie von etwa 50 Männern aus Leros mit Stöcken bedroht und teilweise geschlagen, auch Frauen und Kinder. Die Polizei blieb passiv. Eine Koordinatorin von Echo100plus, die mit ein paar Volunteers versuchte, die Jesiden zur Rückkehr ins Lager zu bewegen, wurde im Auto eingekesselt und bedroht.

Das war das Signal zur Abreise aus Leros. Die jungen Leute sind nicht naiv, sie verstehen die Dynamik, wenn eine rechte Minderheit der Bevölkerung Angst macht, und wie schwierig es ist, wenn die Polizei die rechten Krawallierer gewähren lässt. Aber sie fragen, wer jetzt die Versorgung der Leute im Lager übernimmt und ob da nicht jemand an einer Destabilisierung interessiert ist: "Vorher haben wir alle das Ende des Ramadan gefeiert." Der Bürgermeister von Leros fordert nun die Verlegung des Hotspots.

Zyniker und Rechte mögen meinen, die Freiwilligen seien selbst schuld. Wer aber mit diesen jungen Leuten spricht, geht mit dem Eindruck fort, dass unsere Gesellschaft in Zeiten von Engstirnigkeit und Kleingeisterei genau diesen Einsatzwillen und unsentimentalen Gemeinschaftssinn brauchen wird. Kann gut sein, dass einige von ihnen die Leadership-Figures der nächsten Generation sein werden. (Hans Rauscher, 12.7.2016)