Bernhard Niechotz stellt Anatol in Frankfurt einen Schlafsaal auf die Bühne. Darin tummeln sich (von links) Magnús Baldvinsson als Baron Diebl, Nina Tarandek als Ilona und Dominic Betz als Arthur.

Foto: Monika Rittershaus

Elf Doppelbetten sind im Rund auf der Bühne im Frankfurter Bockenheimer Depot angeordnet. Es könnte der Schlafsaal in einer komfortablen Jugendherberge sein, eine Bühne (Bernhard Niechotz) zwar nicht für Schnitzlers Schlafzimmerstück Der Reigen, aber für eine Adaption seines Frauenheld-Einakterzyklus Anatol. Im Finale wird aus dem Schlafsaal eine riesige Hochzeitstorte.

Dass Schnitzlers Frauenheld von einer Frau gespielt wird, ist nicht neu. Vor acht Jahren besetzte ihn so Luc Perceval in einer Inszenierung der Berliner Schaubühne, und auch zum Musical wurde Anatol bereits 1965 adaptiert (The Game of Love). "Operette" nennt der 1983 in Russland geborene Komponist Michael Langemann seine Komposition Anna Toll oder die Liebe der Treue und beruft sich dabei auf Arthur Schnitzler selbst, der seinerzeit Anatol als Operettenszenario Oscar Straus angeboten habe.

Uneindeutig und ungeniert

Doch traditionelle Operette ist Langemanns Musik nicht, dazu ist sie allzu uneindeutig neotonal, zu schräg chromatisch gefärbt, andererseits fehlen überdeutliche Anklänge an Jazz, Puccini, Kalman, aber auch Richard Wagner nicht. Ungeniert lässt Langemann etwa den alternden Baron Diebel (Magnus Baldvinsson) in Anatols Größenwahn wie einen zweifelnden Hans Sachs grübeln. Sehr temperamentvoll vor allem in ihren Treue- und Eifersuchtsausbrüchen sind die Sopranistinnen Elizabeth Reiter (Anna Toll) und Nora Friedrichs (Freundin Maxi), und nur wegen dieser Stimmen leuchtet die Geschlechtsumwandlung musikalisch ein!

Denn so albern wie der Titel, so platt humorig bleiben auch sonst viele Szenen, etwa wenn (Weihnachtseinkäufe) ein aufgeregtes Frauenterzett nicht weiß, welche Kleider man anziehen soll. Auch wenn Inszenierung (Hans Walter Richter) und Choreografie (David Laera) einige Szenen durch symbolische Andeutungen und Masken überhöhen und auch wenn in einer Sprechrolle ein "Arthur" (Schnitzler?) selbstmordgefährdet auftritt und Hofmannsthals Einführung zu dem Stück ("frühgereift und zart und traurig") vorträgt – für Melancholie und Nachdenklichkeit bietet Anna Toll wenig Platz.

Wiener Schwerpunkt

Langemanns "Operette" ist Teil eines Schwerpunkts der Oper Frankfurt, der die Wiener Moderne zum Thema hat. Vorangestellt ist ihr am selben Abend zunächst Arnold Schönbergs Pierrot lunaire, den die Frankfurter Produktion aus Barmusik entwickelt. Laura Aikin singt nämlich zunächst an einem Tresen amerikanische Chansons, ehe sie dann unvermittelt auf atonal und "mondestrunken" umschaltet – keines-wegs frei modulierend, sondern sehr akkurat auf die Schönberg'schen hohen Notierungen achtend.

Wie selbstkritisch die Wiener Moderne ist, macht die Inszenierung von Dorothea Kirschbaum deutlich. In die Bar kommt nämlich bald ein junger Mann (David Larea), beobachtend, weinerlich, voller Eifersucht auf ein junges Paar am Nebentisch – und voll tragischer Komik, sich immer wieder aus der Bar weg in Mondanbetung hochschraubend: ein Dichter!

Betörend und doch voll theatralischer Ironie ist Schönbergs Musik, die das Frankfurter Opernorchester unter Nikolai Peterson genauso wie auch Langemanns musikalische Operettenassoziationen in warmen Farben umzusetzen weiß. (Bernhard Doppler, 11.7.2016)