In Wien soll sich etwas zum Positiven verändern.

Foto: Matthias Cremer

Bunte Hemden, Hosen und Leiberln hängen an Kleiderbügeln von der Mauer des Museums für angewandte Kunst (Mak) in der Wiener Innenstadt. Wem ein Kleidungsstück gefällt, der kann es kostenlos mitnehmen oder Gewand aufhängen, das er nicht mehr benötigt.

derStandard.at

Der offene Kleiderschrank wurde von der Stadtfabrik des Mak, einem Real-Time-Forschungslabor, temporär aufgebaut. Das Museum trägt ein Jahr lang in Wien sowie international Privatinitia tiven, Kunstprojekte und Unter nehmenskonzepte zusammen, die zeigen, wie Produktion, Konsum und Inklusion in der Stadt anders gedacht werden können.

Design als Strategie

"Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel", sagt Stadtfabrik-Kuratorin Ulrike Haele vom Institut für Designforschung in Wien. "Wir untersuchen, welchen Beitrag Design zu einer zukunftsfähigen Stadt leisten kann." Design wird dabei als Strategie verstanden, Stadt und öffentlichen Raum so zu gestalten, dass sie für alle Einwohner lebenswerter werden.

Drei Themenbereiche mit den Titeln "Commoning", "Inclusion" und "Future Production" widmen sich vor dem Hintergrund des wachsenden Wien etwa der Frage, wie Raum und Güter in der Stadt gemeinschaftlich genutzt werden können, wie das kulturelle und wirtschaftliche Kapital, das Flüchtlinge mitbringen, zu ihrer Inklusion beitragen kann oder wie Lebensmittel in der Stadt hergestellt und transportiert werden können, ohne Müll zu verursachen.

Mut anhand konkreter Beispiele

Die Stadtfabrik wendet sich nicht nur an Menschen, die in der Kreativwirtschaft tätig sind, und zeigt ihnen auf, in welche Richtung künftige Projekte gehen könnten, sondern will die Möglichkeiten städtischen Wandels für alle nach vollziehbar machen. "Wir wollen anhand konkreter Beispiele Mut machen", sagt Haele. Denn es brauche in der sich verdichtenden Stadt einen Paradigmenwechsel – "weg von Exklusivität und Konkurrenz", wie es in der "etablierten Industrie" üblich sei, "hin zur Kooperation, zum Sichöffnen".

Neben dem offenen Kleiderschrank ist "A Wiener, halal!" eines der Beispiele, wie Produktion, Konsum und Inklusion neu gedacht und zusammengeführt werden können: Bei der Brunnenpassage im 16. Bezirk in Wien steht ein mobiler Würstelstand, den das Kunst- und Kulturzentrum gemeinsam mit dem Verein Františeks Praktikanten gestaltet hat. Er hat, um niemanden aus zuschließen, vegetarische und Halal-Würstel, die muslimischen Essensvorschriften entsprechen, im Angebot. Betrieben wird er gemeinsam mit Flüchtlingen: Der Verkauf der Wurstwaren ermöglicht ihnen einen Zuverdienst.

Das Kunstprojekt gilt für die Stadtfabrik als Changemaker: "Das sind Menschen oder Initiativen, die irgendeinen Aspekt ihres Handelns oder Wirtschaftens anders denken", sagt Haele.

Über die App "Ideas for Change" kann jeder Projekte und Personen vorstellen, "die mit ihrer Arbeit und ihren Ideen Wien und die Welt zum Positiven verändern" – darunter sind bereits der Kostnix-Laden im fünften Bezirk, wo Gegenstände abgegeben oder kostenlos mitgenommen werden können, und "Flüchtlinge Willkommen", eine Initiative, die Flüchtlingen Zimmer in WGs vermittelt.

Workshops und Sprechstunde

Interessierte können sich außerdem über die Ergebnisse des Forschungslabors bei Workshops und Präsentationen informieren oder sich in der Sprechstunde, die immer dienstags von 18 bis 19 Uhr im Mak stattfindet, Tipps holen.

"Wir wollen Projekte nicht musealisieren", sagt Kuratorin Haele, "sondern zeigen, dass eine kleine Bewegung bereits im Gange ist." Die Designforscherin, Politik- und Kommunikationswissenschafterin ist überzeugt, dass jeder "mit Engagement und Mut und auch mit kleinen Aktionen wie einem Nachbarschaftsgarten" Veränderung bewirken kann. "Menschen sollten ihre Stadt selbst gestalten", sagt Haele. Veränderung passiere nicht "top-down", also von oben nach unten, sondern umgekehrt.

In Anlehnung an die Arbeiten des deutschen Soziologen und Sozialpsychologen Harald Welzer meint Haele: Es reiche aus, wenn zwei bis vier Prozent der Bevölkerung, "quer durch alle Gesellschaftsschichten, initiativ werden und die Dinge anders machen", damit eine Bewegung groß genug werde, um einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.

In Wien wären das bei einem Bevölkerungsstand von rund 1,8 Millionen 37.000 bis 74.000 Menschen. Einige von ihnen und ihre Projekte porträtiert der STANDARD in diesem Sommer. (Christa Minkin, 11.7.2016)