Hoffnungsträger oder Feindbild: Außenminister Sebastian Kurz.

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Wenn man in linksliberalen Kreisen über die politische Zukunft Österreichs spricht, kommt nach der resignierten Prognose, dass Norbert Hofer ohnehin Bundespräsident und Heinz-Christian Strache Bundeskanzler werden, garantiert eine zornige Bemerkung über Sebastian Kurz. Der Außenminister und ÖVP-Hoffnungsträger, der in der breiten Bevölkerung besonders gut ankommt, ist für eine ganz bestimmte akademisch-urbane Gruppe, die nicht alle SPÖ- und Grüne-Stammwähler sind, zu einem wahren Feindbild geworden,

"Man erlebt den Außenminister derzeit zwischen Hybris und Zynismus", schreibt etwa Christian Rainer im neuen Profil –und das ist noch eine der freundlicheren Beschreibungen.

Warum diese Kluft zwischen dem Volk und einer gebildeten Meinungselite? Die Angriffspunkte gegen den Noch-nicht-30-Jährigen sind vielfältig.

Für den Flüchtlingsschwenk verantwortlich

Erstens wird Kurz mehr als jedes andere Regierungsmitglied für den Schwenk zu einer restriktiven Flüchtlingspolitik verantwortlich gemacht. Das ist berechtigt: Kurz hat als erster im Herbst 2015 für ein Ende der Politik der offenen Grenzen plädiert, und es war die von ihm arrangierte Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze, die entscheidend – jedenfalls viel mehr als das kaum umgesetzte Abkommen mit der Türkei – dazu beigetragen hat, dass der Flüchtlingsstrom über die Ägäis praktisch zum Erliegen gekommen ist.

Aber das kann man auch positiv sehen. Kaum jemand in diesem Land wünscht sich, dass erneut Tausende Flüchtlinge täglich am Grenzübergang Spielfeld stehen. Wäre das der Fall, dann wäre Norbert Hofer seit Freitag ein mit satter Mehrheit gewählter Bundespräsident – und die FPÖ knapp vor der absoluten Mehrheit.

Internierung ist EU-Praxis

Kurz' jüngster Vorstoß für eine Internierung von illegalen Flüchtlingen auf Inseln – hat viel Kritik hervorgerufen. Aber die genaueren Erläuterungen seines australischen Modells – Ein Abwürgen der tödlichen Überfahrten und dafür eine aktive Resettlement-Politik – war nachvollziehbar. Und zumindest der erste Teil seines Vorstoßes ist bereits europäische Praxis.

Als der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere vergangene Woche die Schaffung von Asyl-Auffanglagern in Afrika vorgeschlagen hat, übernahm er Kurz' Argumentationsstrang. Und von FPÖ-Politik ist dieser Kurs entgegen einem häufig gehörten Vorwurf nicht.

Im Vergleich zu anderen Vorstößen aus der ÖVP zum Flüchtlingsthema – ob von Klubobmann Reinhold Lopatka oder zuletzt von Innenminister Wolfgang Sobotka – ist Kurz geradezu liberal.

Schwarz-blauer Kanzler ja, Vizekanzler nein

Der zweite Kritikpunkt lautet: Kurz und seine Mannen warten nur darauf, um aus der Koalition mit der SPÖ abzuspringen und mit der FPÖ eine Regierung zu bilden. Nun ist Kurz nicht der einzige VP-Politiker, der sich mit FPÖ-Hilfe ins Kanzleramt hieven lassen würde. Seit der rot-blauen Koalition im Burgenland ist das auch in der SPÖ nicht mehr tabu.

Aber eines würde Kurz sicher nicht tun: Strache zum Kanzler machen und für ihn den Vizekanzler spielen. Das macht auch das Szenario einer von Kurz erzwungen Neuwahl derzeit höchst unwahrscheinlich.

Kurz ist kein zweiter Grasser

Ein weiterer Vorwurf betrifft die Parallelen zu Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Tatsächlich: Einen jungen, eloquenten und charismatischen Hoffnungsträger hatten wir schon, und er erwies sich als Schaumschläger mit fragwürdiger Ethik.

Aber Kurz ist mit Grasser nicht zu vergleichen: Während Grasser höchst überzeugend Phrasen gedroschen hat, ist jede Kurz-Aussage schlüssig und wohl überlegt – und nicht immer auf Beifallmaximierung ausgerichtet. Kurz ist, anders als es Grasser war, ein seriöser Politiker, der denkt, bevor er spricht.

Wenig Interesse an Integration

Der stichhaltigste Vorwurf, den man Kurz machen kann, ist, dass er, der Integrationsminister, das Interesse an Integrationspolitik verloren hat und dies lieber den Gemeinden überlässt. Das passt zu seiner Persönlichkeit: Kurz liebt den großen Wurf, die Mühen der politischen Ebene sind nicht seines.

Angesichts der Wichtigkeit einer gelungenen Integration ist dies ein gravierendes Versäumnis. Aber zur Feindbildbildung taugt es nicht.

So bleibt das Gefühl, dass Kurz' besonderes Talent, sein rasanter Aufstieg und seine hohe Popularität ihn zu einem lohnenden Ziel für Polemik macht. Doch bremsen wird das ihn nicht – sondern nur eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinen Ideen und seiner Leistung als Minister. (Eric Frey, 10.7.2016)