Ohne Kind sitzt man in versifften Lokalen, trinkt aus Einwegbechern dubiose Biere, lehnt sich aus dem Fenster beim Autofahren. Ohne Kind, das heißt Trinken, Rauchen, Experimentieren. Ohne Kind gehen McDonald’s, zwei Keks- und drei Tschickpackungen am Tag, Sport für Mord befinden und Vorsorgeuntersuchungen schwänzen.
Und dann ist die Verantwortung für einen selbst plötzlich Thema im eigenen Leben – als ob das nicht schon vorher gut gewesen wäre. Aber die Verantwortung für ein Kind und die Notwendigkeit, diesem Kind ein stabiles Umfeld zu geben, die bedeuten auch: Verantwortung für sich selbst übernehmen.
Wo ist der Impfpass?
So eine blöde Sache. Wer weiß schon, wo sich der Impfpass versteckt hat – vielleicht noch bei Mama? Wann eigentlich muss man Tetanus auffrischen, oder wo zum Teufel steckt eigentlich das Abschlusszeugnis? In echt habe ich a) im Büroschreibtisch meines Papas und b) unterm Bett meines Bruders gefunden.
Außerdem beginnen Versicherungsmakler zu nerven, den Zahnarzttermin gilt es regelmäßiger als bisher wahrzunehmen, und der Kinderarzt bringt dich auf die Idee, dass es mit über 30 doch einmal sinnvoll wäre, einen Augenarzttermin zu vereinbaren. Früher hätte ich einen Spritzer getrunken und "Seh doch eh gut, was soll das denn?" gesagt. Und jetzt mit dem Kind denkt man sich: Hoffentlich werde ich nicht blind, damit ich auf der Medizinstudiumsabschlussfeier meines eigenen Kindes ebendieses noch gut sehen kann.
(Übrigens wollen laut meiner eigenen Statistik 96,4 Prozent der Mütter zumindest ein Kind, das den Beruf des Arztes/der Ärztin erlernt; inoffiziell inklusive jener, die es nicht zugeben wollen, weil "das Kind ja alles werden darf, was es will", sind es 100 Prozent.)
Zur Verkrampfung neigen
Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist echt schwer. Das fängt beim Einsortieren von Rechnungen an und hört dann auf, wenn der Vermieter nach was-weiß-ich-wie-viel Jahren alle Thermenwartungsrechnungen haben will.
Ich bin vielleicht so naiv, aber vor den Kindern war alles so frei, so jung, so nix-kann-passieren, so wird-schon-irgendwie und ist-doch-eigentlich-egal. Und als Elternteil neigt man dazu, sich schwer zu verkrampfen – nicht nur, was das Kind betrifft, sondern auch sich selbst gegenüber.
Abends vorm Einschlafen ohne Kinder schaust du dann in den Spiegel und denkst: Ist alles neu jetzt oder bin das doch noch immer ich? (Sanna Weisz, 10.7.2016)