Und wieder jubelt die Furie. Nach Wien anno 2008 diesmal in Kiew.

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In den Jahren 1918/1919 und erneut ab 1943 hatten Polen und Ukrainer einander gegenseitig abgeschlachtet. Zehntausende, vielleicht hunderttausende Menschen waren hingemetzelt, noch mehr aus ihrer Heimat vertrieben worden. Auch hier war es das Gift eines übersteigerten Nationalismus, das die Grausamkeiten gegen die Nachbarn vertretbar erscheinen ließ.

Nun veranstalteten Polen und die Ukraine gemeinsam die erste EM auf osteuropäischem Boden. Das war überfällig. Doch es sollte nicht lange dauern, bis die Bedenkenträger auf den Plan traten. Die üblichen Teufel wurden an Wände gemalt, von organisatorischer, finanzieller, infrastruktureller Überforderung. Geschichten über grassierende Fremdenfeindlichkeit und gewaltbereite Nazi-Hooligans in den Ausrichterländern machten die Runde. Der ehemalige englische Teamspieler Sol Campbell warnte vor einer Reise ins dunkle Herz des Kontinents: Man müsse damit rechnen, dass eine solche im Sarg enden könnte.

Es blieb dann, im Gegensatz zur laufenden EURO, alles recht friedlich. Nur an den Randzonen der heiklen Vorrundenpartie zwischen Polen und Russland in Warschau kam es zu vereinzelten Scharmützeln.

Die Teams der Gastgeber verabschiedeten sich rasch, besonders für Polen war der letzte Platz in Gruppe A eine herbe Enttäuschung. Die Ukraine hielt sich etwas besser, schaffte immerhin einen Sieg in Gruppe D. Die auf die Elf in Blau-Gelb projizierten Erwartungen hatten weit über das bloße Ballestern hinausgewiesen. In einem Land auf der Suche nach sich selbst, wurde die Nationalmannschaft in Ermangelung sonstiger als Symbol mit integrativer Kraft wahrgenommen.

Supermario lässt auch Russen dahinschmelzen.
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Balotellis Moment und Dicos Ende

Und sonst? Ein gewisser Mario Balotelli wurde zum ersten und einzigen Mal dem ihn bekränzenden Vorschusslorbeer gerecht. Mit zwei Goals kegelte er die bis dahin makellos aufspielenden Deutschen Joachim Löws im Semifinale aus dem Bewerb. Die folgende kraftmeierische Gorillamännchenpose des Italieners geriet zum ikonischen Bildnis des Turniers. Im Endspiel wurden Träume brutal zerfetzt. Etwas steif gestarteten Spanier zeigten noch einmal ihr furioses Antlitz, nahmen die Azzurri mit 4:0 auseinander. Der 52 Jahre davor als "Europapokal der Nationen" debütiert habende Bewerb sah seinen ersten erfolgreichen Titelverteidiger.

Österreich unter Dietmar Constantini war in einer Qualifikationsgruppe mit Deutschland, der Türkei und Belgien auf verlorenem Posten. Nach einer Serie von vier Niederlagen in Folge, darunter ein 2:6 in Gelsenkirchen, trat der Teamchef zurück. Vier weitere Jahre mussten vergehen, ehe, angeleitet von Nachfolger Marcel Koller, erstmals auf sportlichem Weg das Ticket für eine Endrunde gelöst wurde. (Michael Robausch, 8.7. 2016)