Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) will strengere Regeln für die Mindestsicherung.

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Wien – Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) macht Druck, was die Reform der Mindestsicherung angeht. Im Interview mit der APA fordert der Chef des niederösterreichischen ÖAAB eine jahrelange Wartezeit auf die Leistung, einen Deckel sowie eine Regelung, die zur Annahme gemeinnütziger Leistungen verpflichtet.

Der Innenminister kann nicht nachvollziehen, wieso bisher keine Verständigung mit dem Koalitionspartner SPÖ möglich war. Gerade den Sozialdemokraten könne es ja nicht egal sein, wenn zwischen Erwerbsarbeit und Mindestsicherung kein Unterschied mehr bestehe, verweist Sobotka auf niedrige Löhne etwa von Supermarktmitarbeitern oder Raumpflegern.

An Hartz IV orientieren

Als Deckel schwebt Sobotka unverändert die Summe von 1.500 Euro vor, wobei diese nicht als Zahl in ein Gesetz geschrieben werden sollte, sondern ein Überschreiten des Werts durch verschiedene Maßnahmen verhindert werden sollte.

Wohl auch als Abschreckung für Flüchtlinge gedacht ist Sobotkas Forderung, eine Anwartschaft für die Leistung einzuziehen. Ihm schweben etwa fünf Jahre ordentlicher Wohnsitz vor, ehe es einen Bezug der Leistung geben könnte. Schließlich will er sich am deutschen Hartz-IV-System orientieren und eine Verpflichtung einführen, gemeinnützige Arbeit im Ausmaß von 20 Stunden anzunehmen, sofern diese vorhanden und der Person zumutbar ist.

Asylwerber: Keine generelle Arbeitsmarktöffnung

Als Stundenlohn sind in Deutschland 1,50 Euro vorgesehen. Zumindest hier zeigt Sobotka Beweglichkeit: "Man kann diskutieren, ob das ein bisschen mehr sein kann." Der Innenminister sähe in der Verpflichtung eine wichtige Maßnahme zur Stärkung der Arbeitsfähigkeit bis zur gewünschten Rückkehr in den Arbeitsmarkt.

Auch bei Asylwerbern steht Sobotka dazu, diesen den Zugang zum zweiten Arbeitsmarkt offenzuhalten. Die entsprechenden Tätigkeitsfelder sollen ja bis zum Herbst definiert zu sein. Eine generelle Öffnung des Arbeitsmarkts für Asylsuchende ist für ihn dagegen nicht denkbar, da diese als Einladung nach Österreich interpretiert würde.

SPÖ stören Zwischenrufe

Im Büro von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) reagierte man am Donnerstag scharf auf die Aussagen. Als Minister habe Sobotka "ganz Österreich, und nicht nur Niederösterreich" zu vertreten, erklärte ein Sprecher. "Wir würden ihm empfehlen, dass er endlich in der Bundespolitik ankommt."

Kritisiert wird, dass man durchaus zu einer Einigung kommen könnte, "wenn es nicht ständig störende Zwischenrufe aus der ÖVP gäbe". Inhaltlich hält man nichts von einer Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit. "Für uns gelten die Menschenrechte, und wir sind gegen Zwangsarbeit." Für freiwillige gemeinnützige Arbeit sei man sehr wohl – das sei auch gerade im Zuge des Integrationspakets gemeinsam beschlossen worden.

Kritik von Neos und Grünen

Die Grüne Sozialsprecherin Judith Schwentner warnt davor, dass solche "Arbeitsprogramme" in anderen Ländern dazu geführt hätten, dass die Betroffenen Länger in der Sozialhilfe bleiben, weil sie ihre Grundprobleme nicht lösen können. In Deutschland hätte das System dazu geführt, dass echte Jobs in Ein-Euro-Jobs umgewandelt wurden: "Es wurden also Arbeitsplätze vernichtet."

Gegen "Zwangsarbeit" spricht sich auch Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker aus. "Statt die zahlreichen Schwächen der Mindestsicherung anzupacken, wird eine populistische Nebelgranate abgeschossen", so Loacker in einer Aussendung. Er fordert stärkere Anreize zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit – etwa eine Einschleifregelung, damit ein temporärer Zuverdienst nicht zur Kürzung der Mindestsicherung im selben Ausmaß führt.

Widersprüchlichkeit

Dem Koalitionspartner wirft das Sozialministerium zudem "Widersprüchlichkeit" im Kurs vor. Noch am Mittwoch habe sich die ÖVP "mit Händen und Füßen gegen die Ausbildungspflicht für jugendliche Asylwerber gewehrt", kritisiert der Sprecher.

Abgelehnt wird von der SPÖ auch der Vorschlag nach einer fünfjährigen Wartefrist vor dem Bezug der Mindestsicherung. "Was machen wir dann fünf Jahre lang mit den Menschen?" Für Stöger sei klar: "Jeder, der einen rechtmäßigen Aufenthalt hat, muss sozial abgesichert werden." Neuerlich kritisiert wird beim Asylthema, dass Außen- und Innenministerium, beide ÖVP-geführt, keinerlei Fortschritte bei Rückführungsabkommen erzielen würden. "Wir hören immer nur tolle Vorschläge zu anderen Ressorts."

Sozialpolitik sei aber "nicht für schnelle Sager und Symbolpolitik geeignet, sondern erfordert Seriosität und Sachkenntnis. Beides vermissen wir in der ÖVP", so der Stöger-Sprecher.

Schließt Grenzzaun zu Ungarn nicht aus

Sobotka wiederholte weiters, die geplante Notverordnung rasch umsetzen zu wollen, die Österreich eine leichtere Zurückweisung von Flüchtlingen ermöglichen würde. Er hofft, dass die SPÖ hier nicht auf Zeit setzt, sondern dass der Sozialminister die notwendigen Zahlen demnächst wie von Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) zugesagt liefert.

Wenn Stöger jedenfalls trotz der derzeitigen Arbeitslosenzahlen keine Probleme am Arbeitsmarkt sehe, frage er sich, ob der Sozialminister auch einmal raus zu den Menschen gehe. Zudem dürfe man nicht Kriminalität importieren: "Bei Suchtmitteldelikten werden 99 Prozent durch Nichtösterreicher begangen."

Mehrheit der Suchtmitteldelikte von Österreichern begangen

Mit den offiziellen Zahlen ist die Aussage des Innenministers freilich nicht vereinbar. Laut amtlichter Statistik wurden im Jahr 2015 7.922 Personen nach dem Suchtmittelgesetz verurteilt. Davon waren 3.450 Nichtösterreicher (43,54 Prozent) und 4.472 österreichische Staatsangehörige (56,45 Prozent).

Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch wirft Sobotka die "Verbreitung von Falschinformationen" vor. "Es gehört zu den ureigensten Aufgaben eines Innenministers, die Bevölkerung korrekt zu informieren", fordert SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak und kritisiert Sobotkas Aussagen als "befremdlich": "Er verstärkt pauschale Abstempelungen und arbeitet mit daran, das Vertrauen in die Politik zu zerstören."

99 Prozent nur bei einem Delikt in Wien

Sobotkas Sprecher relativierte die Aussagen des Ministers auf Nachfrage der APA. Demnach gibt es den Ausländeranteil von 99 Prozent nur in einem Teilbereich der Drogenkriminalität – nämlich bei der mit 1. Juni neu geschaffenen Strafbestimmung gegen das Dealen in der Öffentlichkeit. Hier liege der Ausländeranteil unter den angezeigten Personen in Wien tatsächlich bei 99 und in ganz Österreich bei 90 Prozent, so der Sprecher.

Die Wahrscheinlichkeit, nach einer Anzeige nach dem Suchtmittelgesetz inhaftiert zu werden, ist bei Nichtösterreichern um ein Vielfaches höher als bei Österreichern. 39 Prozent der ausländischen Tatverdächtigen nach dem Suchtmittelgesetz kommen ins Gefängnis, bei österreichischen Tatverdächtigen wegen Drogendelikten werden nur acht Prozent inhaftiert.

Besonders hoch ist der Anteil bei Ausländern, die aus nichteuropäischen Ländern stammen: 56 Prozent von ihnen kommen in Haft. Hier ist der Anteil der Inhaftierten sogar größer als der Anteil der Verurteilten: 52 Prozent der nichteuropäischen Tatverdächtigen werden verurteilt. Bei Österreichern sind es nur 15 Prozent.

ÖVP "nicht in ein Eck stellen"

Für die Notverordnung wichtig wäre laut Sobotka, dass die Flüchtlinge zum Beispiel von Ungarn auch zurückgenommen würden. Hier bemängelt der Innenminister den Status quo und schließt daher auch nicht die Errichtung von Grenzzäunen zum Nachbarland aus: "Wenn hier mit Ungarn keine substanziellen Schritte erreicht werden, ist es notwendig."

In ein rechtes Eck will er sich wegen seiner Politik nicht drängen lassen: "Wir können schon aufnehmen Jahr für Jahr, aber nicht in diesen Mengen und nicht nur in den Ballungsräumen", sagte Sobotka. Aber nur weil es keine europäische Lösung gebe und man daher vorerst auf nationale Lösungen setzen müsse, lasse er die ÖVP nicht in ein Eck stellen.

Im Gegensatz zu Überlegungen seiner Vorgängerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und von Verteidigungsminister Doskozil plant Sobotka derzeit keine Reise nach Marokko, um angesichts der stockenden Verhandlungen der EU für Österreich direkt ein Rücknahmeabkommen mit dem Maghreb-Land auszuhandeln. Derzeit versuche er bilateral mit Botschaftern aus der Region, etwa aus Algerien, zu erreichen, dass diese Staaten zumindest jene Flüchtlinge zurücknehmen, die deren Staatsbürger sind.

Persönliche Zukunft: "Schauen wir, was kommt"

Insgesamt unterstützt der Minister auf Perspektive die Pläne der EU-Kommission, wie die Flüchtlingskrise gelöst werden könnte, etwa über verstärkte Wirtschaftsförderung in den Herkunftsregionen, um die Fluchtgründe drastisch zu reduzieren. Aufgenommen wird von Sobotka dabei auch eine Idee, Menschen, die eigentlich abgeschoben werden könnten, in Österreich etwa in Sachen Energie-Effizienz auszubilden und sie erst dann in ihre Heimat zurückzuschicken, wo sie mit ihrem Know-how einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der Herkunftsstaaten leisten könnten.

Was Sobotkas persönliche Zukunft angeht, legt sich der 60-Jährige, der über Jahre die niederösterreichische Landespolitik mitgeprägt hat und auch lange als Landeshauptmann gehandelt wurde, nicht fest, ob das Innenministerium seine letzte politische Station ist: "Schauen wir mal, was kommt." (go, sterk, APA, 7.7.2016)