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Polnischer Greißler in Hammersmith, London.

Foto: REUTERS/NEIL HALL

Auf und davon: Laut WIIW arbeiten derzeit 3,67 Millionen Menschen aus Osteuropa in einem anderen Staat, vornehmlich irgendwo im Westen.

APA

Wien – EU-Bürger haben das Recht, sich in jedem anderen Land der Union einen Arbeitsplatz zu suchen. Aber welchen Stellenwert hat die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in Zukunft noch? Nach dem Brexit-Referendum ist diese Frage ins Zentrum der politischen Debatten gerückt – zunächst in Großbritannien selbst, wo die Bürger mit ihrem Votum sich ja klar gegen die Freizügigkeit ausgesprochen haben.

Aber auch in Kontinentaleuropa kocht die Debatte hoch, insbesondere in Ländern, in denen die Situation am Arbeitsmarkt angespannt ist. Aber wer sind die innereuropäischen Arbeitsmigranten eigentlich – aus welchen Staaten kommen die Menschen, die das grenzenlose Europa nutzen? Auf Anfrage des STANDARD hat das Wiener Osteuropainstitut WIIW deshalb im Detail errechnet, welche Rolle die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die elf neueren EU-Mitgliedsländer in Osteuropa spielt.

Aus keiner Region Europas migrierten in den vergangenen Jahren schließlich auch nur annähernd so viele Menschen in einen anderen EU-Staat. Fast 40 Prozent der innereuropäischen Migration entfallen heute auf die fünf Länder Rumänien, Polen, Ungarn, Kroatien und Bulgarien. Die größten Entsendeländer unter den EU-28 sind Rumänien und Polen.

3,67 Millionen Osteuropäer

Interessant ist es, sich anzusehen, wie sich die Zahl der osteuropäischen Arbeitnehmer im In- und Ausland entwickelt hat. Auch hier sticht Rumänien hervor. Im vergangenen Jahr arbeiteten mehr als 15 Prozent der beschäftigten Rumänen in der EU nicht in ihrem Heimatland, sondern irgendwo im Ausland. Auch im Falle der Kroaten ist diese Zahl hoch. Mehr als zehn Prozent der beschäftigten Kroaten arbeiten nicht in ihrer Heimat, sondern im EU-Ausland.

Laut WIIW arbeiten derzeit 3,67 Millionen Menschen aus Osteuropa in einem anderen Staat, vornehmlich irgendwo im Westen. Dies entspricht insgesamt 7,6 Prozent der Beschäftigten in der Region selbst. Nur aus Slowenien und Tschechien hat es demnach keine nennenswerte Auswanderung gegeben. Im Baltikum hingegen spielt Migration eine besonders wichtige Rolle.

Die WIIW-Berechnungen beruhen auf Daten der Statistikbehörde Eurostat. Um die Beschäftigungsquoten der Migranten im Ausland zu ermitteln, wurden Arbeitskräfteerhebungen der Statistiker herangezogen.

Interessant ist, dass es überwiegend junge Menschen aus Osteuropa sind, die anderswo ihr Glück versuchen wollen. 70 Prozent der polnischen Auswanderer in die EU sind zum Beispiel im Alter zwischen 25 und 49 Jahren. Die Zahl der Kinder oder Alten, die ihr Heimatland verlassen, ist dagegen vergleichsweise gering. Ähnliche Werte findet man auch bei einem genauen Blick auf die ungarischen Migranten.

Für Michael Landesmann, den wissenschaftlichen Leiter des WIIW, zeigt das niedrige Alter der Auswanderer, dass "da insgesamt wenig Sozialtourismus stattfinden dürfte". Die meisten Osteuropäer gehen ins Ausland, um dort zu arbeiten. Auf EU-Ebene dagegen wird derzeit versucht, die Regeln für die Gewährung von Sozialhilfe für EU-Bürger aus dem Ausland strenger zu gestalten. Auch im britischen Brexit-Wahlkampf spielte das Thema eine große Rolle.

Fehlender Spielraum

Laut Landesmann wird angesichts der verstärkten Migration von Ost nach West auch deutlich, dass sich der "Charakter der EU" langsam ändere. In Untersuchungen der vergangenen Jahre wurde immer wieder kritisiert, dass die innereuropäische Mobilität zu gering ist – besonders wenn man die Zahlen mit jenen aus den USA vergleicht. In diesem Punkt hole die EU auf, so Landesmann.

Er sieht das als eine gute Nachricht. Innerhalb der EU habe der wirtschaftspolitische Spielraum der einzelnen Länder abgenommen. Euroländer und Staaten wie Kroatien, deren Währung an den Euro gekoppelt ist, können zum Beispiel ihre Währung im Falle einer Krise nicht abwerten, um Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Durch Arbeitsmigration können Länder, die unter ökonomischem Druck stehen, entlastet werden.

Die WIIW-Zahlen zeigen aber auch, wie komplex die Verhandlungen mit Großbritannien über die Arbeitnehmerfreizügigkeit werden. Denn wenn 15 Prozent der Rumänen und sechs Prozent der Polen im Ausland arbeiten, ist klar, wie wichtig das Thema für diese Staaten sein wird. Die Briten hätten gerne vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt, wollen aber die Freizügigkeit einschränken.

Die hohe Zahl an Auswanderern hat die Arbeitsmärkte in Osteuropa laut WIIW spürbar entlastet. Ungarn hat heute zum Beispiel eine niedrigere Arbeitslosenrate als Österreich. Zugleich schicken die Migranten viel Geld nach Hause, sind also auch deshalb ein wirtschaftlich bedeutender Faktor. Im Falle von Polen entsprechen die nach Hause überwiesenen Geldbeträge aus dem Ausland einem Wert von mehr als einem Prozent der polnischen Wirtschaftsleistung. (András Szigetvari, 6.7.2016)