Es war dem Meister höchstpersönlich vorbehalten, daran zu erinnern, warum man in der Stadt ist. Das Karussell aus Cocktails, Partys, Schauen und Präsentationen, zu dem die Pariser Couture-Woche mutiert ist, dreht sich am Ende doch immer um eines: um Mode. Im Falle der Haute Couture ist dies die am aufwändigsten gemachte und exklusivste, die man weltweit finden kann – maßangefertigt von hunderten "petites mains", wie die Näherinnen genannt werden. 78 von ihnen standen im Mittelpunkt der Schau von Karl Lagerfeld für Chanel. Während all die Supermodels mit ihren hochgetürmten Haaren durch das Rondell schritten, das man ins Grand Palais gebaut hat, stickten und nähten, schnitten und drapierten sie im Hintergrund ebenjene Stücke, die von reichen Kundinnen um zehntausende Euro in den kommenden Wochen und Monaten gekauft werden.
Die Käuferschicht ist schmal, die Relevanz der Couture umstritten, als Marketingvehikel eignen sich die pompösen Kreationen aber allemal. Dafür sorgen schon allein die vielen Smartphones im Publikum, die die Fotos hinaus in die Welt schicken.
Und da galt es diesmal einiges festzuhalten: Tweed-Anzüge mit kantigen Schulterpartien und weiten Dreiviertelhosen, mit Blumenmotiven bestickte Kleider zu Overknee-Stiefeln, weit schwingende Röcke zu gefiederten Oberteilen. Hohe Taktung, präzise Arbeit. Jedes einzelne Kleidungsstück wurde in hunderten Arbeitsstunden in Zusammenarbeit mit den wenigen verbliebenen Handwerksbetrieben wie Lesage oder Massaro hergestellt, sie erinnern allesamt an die Geschichte und Grundlage der Mode. Als ob Lagerfeld einer Branche, bei der sich derzeit vieles verändert, ein kurzes Innehalten verordnen wollte. Die Taktung der Modeschauen wird immer schneller, Männer- und Frauenshows geraten durcheinander, die Modehäuser wechseln die Designer in immer kürzeren Intervallen.
Auch bei Dior steht ein neuer Designer vor der Tür. Wenn die Gerüchte stimmen, ist es erstmals in der Geschichte des Hauses eine Frau, und zwar Maria Grazia Chiuri, die derzeit noch bei Valentino werkt. Gemeinsam mit Designpartner Pierpaolo Piccioli zeigte sie am Mittwochabend die letzte gemeinsame Kollektion.
Chiuris Bestellung soll nach dem Ende der Couture-Woche erfolgen, um nicht von der ganz in Schwarz-Weiß gehaltenen Kollektion der beiden Übergangsdesigner bei Dior abzulenken.
Sie war relativ schmucklos, in ihrer Formenvielfalt aber eine schöne, feminine Variation des New Look. Bei Versace und Armani ist dagegen alles noch beim Alten. Beide Modehäuser zeigen seit Jahren ihre Rote-Teppich-Kreationen in Paris. Vor allem Donatella Versace hat derzeit einen guten Lauf, wobei ihre Couture etwas gewöhnungsbedürftig daherkam.
Im Mittelpunkt standen bei ihr weniger aufwändige Stickereien oder Applikationen als die Kunst des Drapierens. Mäntel in Seiden-Kaschmir-Kombinationen, die lose über die Schulter fielen, über der Brust verknotete Kleider oder an der Hüfte kunstvoll gebundene Röcke erzeugten den Eindruck einer beinahe fließenden Kollektion, die aber eine Spur zu konzeptionell ausfiel.
Das könnte Altmeister Armani nicht passieren. Was bei Chanel die Tweed-Outfits, sind für ihn die Hosenanzüge. Samthosen treffen auf geometrisch gemusterte Oberteile, Etuikleider sind mit tausenden Swarovski-Steinen besetzt, Pumpärmel oder Schleifen zieren die Abendkleider. Es ist eine dieser Armani-Fingerübungen, genau so mühelos wie traditionsgeladen.
Ein Modehaus mit noch mehr Geschichte ist Schiaparelli. Seinerzeit die große Konkurrentin von Chanel, versucht man seit einigen Jahren die Marke wieder mit Leben zu füllen.
Mittlerweile ist Designer Betrand Guyon dran, der den Spagat zwischen den ikonischen Designs und ihrer Auffrischung vor allem bei den Abendroben gut hinbekommt. Geschichte und Gegenwart müssen sich nicht unbedingt ausschließen. Auch das haben die jüngsten Couture-Schauen bewiesen. (hil, 7.7.2016)