John Chilcot (rechts) präsentierte am Mittwoch den Bericht zur Rolle Großbritanniens im Irak-Krieg.

Foto: APA/AFP/POOL/DAN KITWOOD

Der vollständige Bericht der Chilcot-Kommission besteht aus 12 Bänden (2,6 Millionen Worte).

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London – In bedingungsloser Gefolgschaft der USA beteiligte sich Großbritannien 2003 am Irakkrieg, unzureichend vorbereitet und obwohl die diplomatischen Mittel nicht ausgeschöpft waren. Die Planung für die anschließende Besetzung des Landes erwies sich als "völlig unzureichend", der blutige Bürgerkrieg öffnete dem islamistischen Terrorismus Tür und Tor.

Zu diesen verheerenden Schlussfolgerungen kommt die unabhängige Regierungskommission unter Leitung des früheren Spitzenbeamten John Chilcot, die am Mittwoch in London ihren lang erwarteten Bericht vorlegte. Das Gremium erhebt schwere Vorwürfe gegen den damaligen Premier Tony Blair, hohe Politiker und Militärs sowie Spitzenbeamte, bezeichnet den Krieg aber nicht als illegal. Die britische Besetzung habe 2009 mit einer "Demütigung" geendet: "Großbritannien erreichte keines seiner Ziele."

Im Unterhaus sagte Premier David Cameron eine sorgfältige Prüfung der Ergebnisse zu. Das Parlament werde kommende Woche zwei Tage darüber diskutieren. Seine Regierung habe bereits Konsequenzen gezogen, darunter die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates sowie die Veröffentlichung von Rechtsgutachten über mögliche Militärinterventionen. Diese seien auch in Zukunft von vornherein "immer falsch", sagte der Regierungschef: "Großbritannien wird weiterhin seine Rolle auf der Weltbühne spielen."

Während die schottischen Nationalisten von der "schändlichsten Aktion britischer Außenpolitik" der vergangenen Jahrzehnte sprachen, konzentrierte sich Oppositionschef Jeremy Corbyn, innerparteilich stark unter Druck, auf die innenpolitischen Folgen.

"Es gab keine Lügen"

Seine Vorgänger im Amt der Labour-Chefs hätten Land und Parlament getäuscht. Dem Bericht zufolge hatte sich Blair bereits lange Monate vor der gemeinsamen Invasion im März 2003 schriftlich dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush zum Sturz des Diktators Saddam Hussein verpflichtet. "Ich bin in jedem Fall auf Ihrer Seite" (with you, whatever), schrieb der Brite bereits Ende Juli 2002.

In einem Statement übernahm Blair "volle Verantwortung" für die Entscheidungen und beteuerte: "Es gab keine Lügen, keine Irreführung. Ich handelte in gutem Glauben." Mit dem gleichen Informationsstand wie damals würde er die gleich Entscheidung auch heute treffen. Angehörige der 179 getöteten Soldaten nannten Blair dennoch "einen Terroristen".

Von der Westminster Abbey erklang lautes Glockengeläute, auch Hunderte von Demonstranten vor dem Kongresszentrum im Herzen Londons schrien Verwünschungen gegen Tony Blair, als der pensionierte Spitzenbeamte Chilcot am späten Vormittag im Saal seine Erkenntnisse zusammenfasste. Damit ging für den 77-Jährigen und seine ursprünglich vier Kommissionsmitglieder – der Historiker Martin Gilbert verstarb vor Jahresfrist – eine Schufterei von sieben Jahren zu Ende. Das Gremium hörte von 2009 bis 2011 rund 150 Zeugen an, analysierte Millionen von Dokumenten und verbrachte viel Zeit damit, die Veröffentlichung bisher geheimer Aktenvermerke zu erreichen.

31 Schriftstücke wurden "mit geringen Schwärzungen" dem zwölfbändigen Bericht mit insgesamt 6275 Seiten beigefügt, dar unter auch mehrere Briefe Blairs an den US-Präsidenten.

Unterschrift in Blut

Darunter ist auch die Notiz vom 28. Juli 2002, der die Kommission großes Gewicht beimisst. Die Beteuerung unbedingter Bündnistreue hätte ein späteres Abweichen "sehr schwer gemacht", argumentiert der Bericht.

Bisher waren Blairs Kritiker davon ausgegangen, die fatale Entscheidung sei sogar noch früher gefallen. So berichtete der damalige britische Botschafter in Washington, Christopher Meyer, der Kommission von einem "Deal in Blut", den sein Premier bereits Anfang April 2002 abgeschlossen habe, als er Bushs Ranch in Crawford (Texas) besuchte.

Die im Herbst des Jahres betriebenen Verhandlungen in der UN, die in die einstimmig verabschiedete Resolution 1441 mündeten, bewertet die Kommission als diplomatischen Firnis. Dass die Waffeninspektoren unter Leitung des Schweden Hans Blix keinerlei Hinweise auf ABC-Waffen im Zweistromland fanden, habe den "tief verwurzelten" Glauben an Saddam Husseins Waffenprogramme nicht beirren können. (Sebastian Borger aus London, 6.7.2016)