Wien – Man probiert es tapfer, kämpft sich stotternd und unsicher von Wort zu Wort und erntet dennoch höflichen Applaus: Das Serbokroatische hat Goran Novaković in einer Art Lautschrift für fremde Zungen lesbar gemacht. "Gastarbeitergeschichten aus deutschsprachigem Mund zu hören", das sei das Ziel seiner kollektiven Lese-Performance am Eröffnungsabend, erklärt der 1962 in Belgrad geborene Germanist und Künstler, aka Goxilla, seine charmante Idee.

Die spitzbübische Vorfreude kann der Mann mit dem T-Shirt-Aufdruck "Viner Šme" dabei nicht verbergen. Das lustige Schmähshirt ist etwa ein Projekt von 2011, und seine Träger sind für Novaković, der an der Volkshochschule Unterricht in seiner Muttersprache gibt, nun "Botschafter der Verschriftlichung der Vermischtheit".

Milan Mijalković ehrt mit "Arbeiter mit Vorschlaghammer" (2015) jene auf dem Bau Tätigen, deren Werk später nicht mehr sichtbar ist.
Foto: Milan Mijalkovic

Der Humor ist also nur das Vehikel für tiefgründigere Anliegen, wie etwa jenes, Biografien der ersten Gastarbeitergeneration zu dokumentieren. "Ich habe nie Probleme mit Österreichern gehabt, weil ich mich immer als jemand gefühlt habe, der weniger wert ist", erzählte ihm Milica Andelković während der Recherchen für sein Buch Wir, die Zugvögel (Drava-Verlag, 2002). Auch von ihrer Überzeugung, dass es so richtig ist, "weil jeder in seinem Land besser ist als du, als Ausländer".

Einzementierte Ungleichheit

Die Ungleichheit, sie ist verinnerlicht in den Köpfen der Menschen, die nach dem 4. April 1966 kamen, um legal hier zu arbeiten – vor 50 Jahren, als das Abkommen zur legalen Arbeitsmigration mit dem damaligen Jugoslawien in Kraft trat. Einzementiert ist die Ungleichheit aber auch im Begriff des Gastarbeiters selbst: Man ist so lange willkommen, wie man dem Gastgeber nützlich ist. Josip Novosel hat dafür ein schönes skulpturales Bild gefunden: Tische mit vier Sesseln, denen allerdings die Hinterbeine fehlen. Der Titel U Can Sit With Us (2014–16) wird so zur leeren Phrase.

Der Begriff des Gastarbeiters sei letztlich ein hohler, findet Bogomir Doringer, der dort und beim Aspekt der Ungleichheit für seine Ausstellung im Freiraum des Museumsquartiers ansetzt. Heute lebe hier bereits die sogenannte zweite und dritte Generation, die zur Entwicklung der österreichischen Wirtschaft und Kultur beigetragen habe. Wenn man jetzt nicht fähig sei, die "Dankbarkeit" dafür zu erneuern, wie soll dann eine Annäherung an "neue Ankommende", an die neue Welle der Migranten möglich werden, fragt Doringer.

Der erste Underground

Des Kurators Dankeschön heißt Ajnhajtclub. Aber was durch Konsonantenhäufung einem Zungenbrecher gleicht, spricht sich schlicht "Einheitclub" aus. Hunderte Arbeiterklubs wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren – vom Abkommen angeregt! – gegründet; sie boten den Migranten, von denen gar nicht erst erwartet wurde, Deutsch zu lernen, eine soziale und kulturelle Heimat. "Sie waren sozusagen der erste Underground. Hier konnten sie, als Fremde in einem neuen Land, Spaß haben und teilnehmen", so Doringer.

Olga Dimitrijević: "Pesma nas je odrzala – Song kept us going"
Filmstill: Olga Dimitrijevic

Abklatsch des Gastarbajteri-Projekts, 2004 initiiert vom Wien-Museum, ist die Schau freilich nicht: Das Künstlerische überwiegt das Dokumentierende. So wie in Olga Dimitrijevićs voll funktionsfähiger Karaokebar Song Kept Us Going, in der neue Liedtexte zu traditionellen Hits aus der Heimat vom Leben der Frauen in der Diaspora erzählen. Den Kurator verführte die Installation beim Presserundgang zu einer kleinen gesanglichen Showeinlage.

Es ist diese Prise Humor, die Selbstironie im Umgang mit Gastarbeiterklischees, die viele Arbeiten so authentisch und gut macht. Etwa Mladen Dordevićs noch unvollendeten Film Gastarbeiter Stories (2016), aus dem man bereits einen Ausschnitt zeigen darf. Darin mischen sich etwa die Bilder von Autofahrten zwischen der Heimat und der Fremde, von mit Möbeln und Kanistern vollgeräumter Kleinbusse mit dem Programm eines Kabarettisten, der von ebensolchen Transporten erzählt, vom atemraubenden Gestank in "Ljubisas Kombi", vom Duft, den Zentner von Zwiebeln ausströmen, vom Odeur von Wunderbaum, Schnaps und den Ausdünstungen verschwitzter Synthetikkleidung.

Mladen Dordević: Filmstill aus "Gastarbajterske priče" ("Gastarbeiter stories").
Filmstill: Mladen Dordevic

Augenzwinkern begleitet auch Marko Lulićs Modell für ein Denkmal für Migration in Perusić, einem Dörfchen, in dem Lulić einige Jahre bei seinen Großeltern lebte. In Neonschrift liest man "Lulić Survived The Titanic", womit nicht der Künstler, sondern ein listiger Dorfbewohner gemeint ist, der als Passagier der dritten Klasse das Unglück überlebte, weil er eine Offizierskappe stibitzte. Keine wirkliche Heldentat, aber letztlich eine erfolgreiche Episode der Migration.

Bezaubernd und nachdenklich zugleich ist hingegen die Vogelvitrine (Curated By Nature, 2016), eine Installation des Kurators in Kooperation mit dem Naturhistorischen Museum. Doringer bat darum, Vogelarten zu nennen, deren Lebensweise jener der oft als "Zugvögel" umschriebenen Gastarbeiter ähnelt. Und er staunte nicht schlecht, wie oft dabei der Terminus "invasive Art" auftauchte. Auch ein Exemplar der Türkentaube ist zu sehen: Diese Spezies kam von Asien über den Balkan nach Wien und gilt heute nicht nur als eine der schönsten Taubenarten, sondern als typisch Wiener Vogel.

Migrationsarchiv im Haus der Geschichte?

Aber es ist auch das Zusammenspiel von Kunst mit dem Dokumentarischen und Bewahrenden, das die Spannung von Ajnhajtclub ausmacht. Im Archiv Migration von Ljubomir Bratić findet man etwa historische Zeitungsartikel (Arbeiterzeitung, 17. Juni 1965), die darüber aufklären, dass 1965 streikende Gastarbeiter in Schubhaft kamen. Warum? Weil ihnen streiken nicht gestattet war, sie also deswegen nicht nur den Job los waren, sondern auch ihre Aufenthaltsgenehmigung.

Marko Lulić: "Modell für ein Denkmal für Migration in Perušić" (2004)
Foto: Marko Lulic

"Im offiziellen Gedächtnis des Staates haben wir keinen Platz", so Bratić, der damals die Gastarbajteri-Ausstellung mitkonzipierte. Im Gegensatz zu Deutschland, wo aus dem 1990 gegründeten Verein "DOMiT" zur türkischen Migrationsgeschichte, 2007 das Museum für die gesamte Migrationsgeschichte "DOMiD" wurde, gebe es in Österreich nichts Vergleichbares. Zumindest gibt es erste Signale; so wurde beispielsweise im Salzburger Landesarchiv eine eigene Stelle dafür eingerichtet. Ob das Haus der Geschichte ein Ort wäre, um so ein Archiv zu beherbergen? "Absolut", so Bratić. "Es gibt sogar eine Arbeitsgruppe, die in diese Richtung denkt."

Zur bloßen Nummer gemacht

Krsto Papićs Dokumentarfilm The Special Trains (1971) zeigt, was Auswanderungswilligen damals zugemutet wurde: In Sonderzüge verfrachtet, wurden sie bei ärztlichen Massenuntersuchungen zur anonymen Nummer. Folgt man von dort einer gedachten Linie, endet man bei den Arbeiten von Milan Mijalković. Für sein Video Arbeitsstrich ließ er illegale Arbeitssuchende Fotos von jenen Baustellen schießen, auf denen sie tätig sind. Für die Performance Unemployed Monument stehen die Bauhackler in kurzen Hosen als lebendige Skulpturen auf einem Sockel.

Besonders schön ist aber Mijalkovićs Foto Arbeiter mit Vorschlaghammer (2015). Teil einer 20-teiligen Serie, die einmal jenen huldigt, die am Anfang von später in Architekturmagazinen gefeierten Bauten stehen. Jene Arbeiter, die mit ihrer Kraft und dem Vorschlaghammer erst einmal den Platz dafür schaffen, dass Neues entstehen kann. Ihre Arbeit verschwindet dann für immer.

Mehr Raum, mehr Aufmerksamkeit

Gerüststrukturen sorgen auch in der Schau selbst für Baustellenatmosphäre: eine stimmige Gestaltung (Martin Hickmann / Bogomir Doringer), die dank Illumination (ATK!) auch Assoziationen zu improvisierten, eben so ganz und gar nicht geschleckten Untergrundclubs zulässt und obendrein als Performancekulisse dient. Das raumgreifende Ausstellungsdisplay hätte ebenso wie die hier auf engstem Raum miteinander konkurrierenden, ausgezeichneten Kunstwerke, mehr Raum zum Atmen vertragen. Nicht alles, was man komprimiert, explodiert auch. Und dieses Projekt zu einem gesellschaftspolitisch wichtigen – und durch eine neue Welle der Migration auch virulenten – Thema hätte sich die Aufmerksamkeit verdient, die einer größeren Institution – ob nun Museum oder Kunsthalle – , sozusagen von Natur aus zuteil wird.

Man sollte doch denken, dass den besten Gegenwartsausstellungen auch die besten Räume – und angemessene Budgets*** – zustehen würden. Aber so ist es eben nicht. Und das ist kulturpolitisch nicht nur ungerecht, sondern auch irgendwie ärgerlich. (Anne Katrin Feßler, 5.7.2016)

*** Die große Menge an eigens für die Ausstellung produzierten Arbeiten konnte nur realisiert werden, weil die Hälfte der teilnehmenden Künstler am Artist-in-Residence-Programm des Quartier 21 im Museumsquartier teilgenommen hat.