Wir leben in unruhigen politischen Zeiten. Auf beiden Seiten des Atlantiks beherrschen Streit und Uneinigkeit die Schlagzeilen, insbesondere seit dem Referendum in Großbritannien. Viele einflussreiche Länder, vor allem westliche Industrienationen, scheinen sich mehr denn je vom Protektionismus verleiten zu lassen.

Umso wichtiger sind Initiativen von Regierungen zur Stärkung von Partnerschaften, die den Bürgerinnen und Bürgern beider Seiten zum Vorteil gereichen. Und genau darum handelt es sich bei dem umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (Ceta), das in Kürze unterzeichnet werden soll.

Wir teilen die Auffassung, dass unsere Stärke in unserer Einigkeit liegt, unsere Vielfalt aber genauso wichtig ist. Sowohl Kanada als auch die EU sind mehrsprachig und profitieren enorm von den unterschiedlichen Kulturen innerhalb der jeweiligen Grenzen. Auch wirtschaftlich sind wir mit Ländern auf der ganzen Welt vernetzt. Wir möchten, dass unsere Grenzen den Menschen und dem Handel offenstehen.

Kanadiern und Europäern liegt die Verantwortung gegenüber der Umwelt gleichermaßen am Herzen, wie unsere enge Zusammenarbeit zeigt, der wir unter anderem das Abkommen bei der Pariser Klimakonferenz im vergangenen Jahr zu verdanken haben.

Kanada und die EU verfügen über strenge Vorschriften in Bezug auf Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz, eine erstklassige öffentliche Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen. Ausschlaggebend ist für das Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU, dass wir beide überzeugt sind, dass Handels- und Investitionsbeziehungen mit dem Rest der Welt der sicherste Weg zu mehr Wohlstand für alle Bürger sind.

Das Ceta-Abkommen, dessen Unterzeichnung die EU den Mitgliedstaaten offiziell vorgeschlagen hat, spiegelt unsere gemeinsamen Grundsätze wider. Es bietet wirtschaftliche Chancen auf fortschrittliche Weise und unter Achtung aller unserer Werte. Ceta ist deswegen so schlagkräftig, weil es an die Bedürfnisse der vernetzten Wirtschaft des 21. Jahrhunderts angepasst ist. Nach unserem Dafürhalten ist es das fortschrittlichste Abkommen seiner Art, das es je gab.

Zölle rasch abschaffen

Warum? Erstens, weil ab dem ersten Tag sämtliche Zölle abgeschafft werden, schneller als bei fast allen anderen Handelsabkommen, die die Parteien bislang abgeschlossen haben. EU-Unternehmen wie Graffeo Cravatte in Sizilien – die bislang einen Zollsatz von 16 Prozent auf ihre Krawattenexporte nach Kanada zahlen müssen – werden jedes Jahr mehrere Hundert Millionen Euro an Zöllen einsparen.

Zweitens, weil Ceta den Dienstleistungshandel bei Telekommunikation, Ingenieursleistungen, Buchhaltung und im Containerschiffsverkehr erleichtern wird. Unternehmerinnen und Unternehmer werden leichter zwischen der EU und Kanada hin- und herreisen können, um neue Kunden zu akquirieren, und die Anerkennung beruflicher Qualifikationen auf beiden Seiten des Atlantiks wird sich ebenfalls leichter gestalten.

Drittens, weil Ceta noch nie dagewesene Möglichkeiten für Exportunternehmen bei der Bewerbung um öffentliche Aufträge bietet. Kanada hat zum ersten Mal seine Ausschreibungen in allen Bereichen – beispielsweise IT-Systeme, Straßen oder auch Schienenfahrzeuge – der Konkurrenz geöffnet: sowohl auf Staatsebene als auch auf Provinz- und lokaler Ebene. Den kanadischen Unternehmen wird durch das Abkommen Zugang zum Markt für öffentliche Ausschreibungen in der EU zugesichert, der ein Volumen von über drei Billionen kanadischen Dollar hat.

Schaffung von Jobs

Ceta wird auch kleineren Firmen zugutekommen. Dem deutschen Unternehmen Reclay zum Beispiel: Die Firma unterstützt Unternehmen und Behörden bei der sicheren und umweltgerechten Entsorgung von Verpackungsmaterial und Abfällen. Mit Ceta plant Reclay jetzt, die neuen Ausschreibungsmöglichkeiten dazu zu nutzen, seine Erfahrung und sein Fachwissen im Bereich Recycling mit Behörden zu teilen. Durch die neuen Geschäftsmöglichkeiten, die Unternehmen wie diesem geboten werden, wird Ceta das Wirtschaftswachstum ankurbeln und hochwertige, exportorientierte Arbeitsplätze schaffen.

Mit dem Abkommen werden neue globale Standards für den Schutz von Arbeitnehmerrechten und Umwelt gesetzt. Die betreffenden Kapitel des Abkommens stellen eine absolute Neuheit dar.

Wir werden uns zudem gemeinsam dafür einsetzen, dass auch andere Länder – insbesondere Entwicklungsländer – ihre Standards anheben. Dabei wollen wir enger mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, beispielsweise mit den Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen und Unternehmensverbänden.

Investitionen sind in einer vernetzten, globalen Wirtschaft für Wachstum unerlässlich. Indem wir einheitliche Wettbewerbsbedingungen schaffen, in denen Ausländer nicht diskriminiert werden, können wir Investitionen ankurbeln. Es ist auch unabdingbar, dass Staaten die Freiheit haben müssen, im besten Interesse ihrer Bürger zu handeln.

Deswegen haben wir im Februar in unser Handelsabkommen einen grundlegend überarbeiteten Ansatz zu Schiedsverfahren bei Investitionen vorgelegt. Diese werden jetzt fairer, unabhängig und transparenter gestaltet. Wir sind uns überdies einig, dass langfristig die Schaffung eines echten internationalen Investitionsgerichts angestrebt werden sollte, wie die Weltgemeinschaft sie schon in anderen Bereichen eingerichtet hat.

Die Entscheidung über die Umsetzung des Abkommens wird auf demokratische Weise getroffen, wie dies den gemeinsamen Grundsätzen unserer Völker entspricht. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger der EU und Kanadas dazu auf, sich mit ihren gewählten Volksvertreterinnen und -vertretern, aber auch miteinander mit dem Abkommen auseinanderzusetzen, damit wir fortschrittliche, breite Handelsstandards für die internationale Gemeinschaft setzen können.

Wir sind überzeugt, dass – heute mehr denn je – Partnerschaft und Wohlstand der richtige Weg sind, nicht Teilung und Isolation. Gerade jetzt sollten wir neue Brücken bauen, nicht neue Hürden errichten. (Cecilia Malmström, Chrystia Freeland, 5.7.2016)