Jedes vierte Unternehmen wird im Pflege- und Gesundheitsbereich gegründet. Die Gewerkschaft kritisiert, dass viele Menschen in die Scheinselbstständigkeit gedrängt werden.

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Wer als Politiker Wirtschaftskompetenz und Modernität vermitteln will, darf sich vor Anglizismen nicht scheuen. Start-up-Förderung ist eines jener Zauberwörter, mit denen die Regierung versucht, Unternehmer anzulocken und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der Fokus liegt auf Wachstumsbranchen wie Informations- oder Biotechnologie. Gelingt es innovativen Gründern dort Fuß zu fassen, so die Hoffnung, können sie schnell Mitarbeiter anstellen und Folgeinvestitionen anstoßen.

Manche Initiativen wie das seit Herbst gültige Crowdfunding-Gesetz wurden bereits umgesetzt, andere sollen folgen. Teil des Wirtschaftspakets, das am Dienstag auf den Weg gebracht werden soll, ist etwa die geplante steuerliche Absetzbarkeit von Beteiligungen bis zu einer Grenze von 100.000 Euro Investitionssumme.

Ein Blick in die Gründungsstatistik zeigt, dass Technologiebranchen zumindest zahlenmäßig weit hinterherhinken. Die meisten Betriebe werden im Dienstleistungsbereich eröffnet, nur ein geringer Teil in der Produktion. Und: Rund drei Viertel der Gründungen sind Ein-Personen-Unternehmen. Insgesamt beschäftigt mehr als die Hälfte aller Betriebe niemanden außer den Gründer selbst.

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Die Statistik zeigt auch: Die Zahl der Neugründungen übersteigt jene der Schließungen deutlich. 2014 waren es 45.865 Gründungen und 39.341 Schließungen. Waren 2010 noch acht Prozent aller Erwerbstätigen selbstständig, sind es mittlerweile bereits 11,4 Prozent.

Mehr Existenzgründungen

Nicht überall sorgt dieser Zuwachs für Freude. Gewerkschafter kritisieren regelmäßig, der Anstieg sei auch auf die zunehmende Scheinselbstständigkeit zurückzuführen. Für viele sei das die einzige Option, weil sonst mit Kündigung gedroht wird. Selbstausbeutung ist an der Tagesordnung, Krankheit oder andere Betriebsausfälle kann man sich kaum leisten, so die Argumentation. Wegen des fehlenden Urlaubs- und Weihnachtsgeldes lässt sich weniger verdienen als angestellte Kollegen.

Betroffen ist vor allem der Gesundheits- und Sozialbereich, in den fast jede vierte Gründung fällt. Typische Berufe sind Hauskrankenpflege und Tagesbetreuung von Kindern. Hier ist auch die Schließungsrate am höchsten.

Laut Insolvenzexperte Hans-Georg Kantner vom Kreditschutzverband sind Jungunternehmer generell besonders gefährdet: "50 Prozent aller Insolvenzen betreffen Unternehmen, die nicht älter als fünf Jahre sind." Trotzdem hätten neugegründete Unternehmen im internationalen Vergleich eine hohe Überlebenschance.

Bürokratie trifft Kleine härter

Im technischen Branchen trifft dies besonders zu: So halten sich beispielsweise 77 Prozent der Energieunternehmen nach fünf Jahren immer noch am Markt.

Zwar liefern Studien über die Beschäftigungswirksamkeit von Start-ups unterschiedliche Ergebnisse im Vergleich zu traditionellen Unternehmensgründungen. Laut Werner Hölzl vom Wifo bringt eine Gründung mit Wachstumspotenzial aber mehr für den Arbeitsmarkt als viele kleine. Der diesbezüglich vielversprechende Start-up-Bereich, vor allem IT- und Biotechnologie, sei aber sehr spezifisch. Statt sich auf neue Finanzierungsformen für spezielle Zielgruppen zu konzentrieren – die Regierung hat beispielsweise die Schaffung einer Börse für kleine und mittlere Unternehmen im Sinn –, wäre es laut Hölzl wichtiger, die Rahmenbedingungen für alle Unternehmer zu erleichtern.

"Die Kosten der Befolgung von Regulierungen trifft kleine Unternehmen stärker als große", so der Ökonom. Zwar seien diese an sich sinnvoll, aber in Summe zu viele. "Es gibt keinen Zauberspruch, um die Problematik aufzulösen. Aber man soll sich entscheiden, welche Auflagen mehr und welche weniger dringend benötigt werden."

Hausaufgaben erledigt

Ähnlich sieht das KMU-Forscher Dietmar Rößl von der Wirtschaftsuniversität Wien: "Nicht das Unternehmerwerden muss man vereinfachen, sondern das Unternehmersein. Geplante Maßnahmen wie ein Beteiligungsfreibetrag oder degressive Abschreibungen helfen dabei. Die Gründungsfreudigkeit wird aber nur dann steigen, wenn man als Unternehmer ein Auskommen findet und nicht so viel Zeit mit Aufzeichnungspflichten und anderen Vorgaben verbringt."

Lob gibt es von den Experten hingegen für den Ausbau von Beratungs- und Förderungsangeboten in den vergangenen Jahren. Noch vor zehn Jahren habe es großen Nachholbedarf gegeben, sagt Kreditschützer Kantner. Seitdem wurden etwa Gründerzentren an Universitäten eingerichtet, in deren Umfeld wissensbasierte Gründungen besonders sprießen.

Auch Rößl meint, die Hausaufgaben wurden erledigt, bei Beratung und Förderungen habe sich viel getan: "Der Gründungsprozess wurde ebenfalls beschleunigt. Würde das jetzt noch zwei Tage schneller gehen, wäre das nett, die große Gründerwelle löst das aber nicht aus." (Simon Moser, 5.7.2016)