Die beste Maßnahme, der Entwicklung von Vorurteilen entgegen zu wirken, ist ein häufiger Kontakt zu Mitgliedern anderer Gruppen.

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Wien – Vorurteile entwickeln sich bereits in frühester Kindheit: Im Alter von 2 bis 4 Jahren beginnen Menschen, erste Bewertungsunterschiede zwischen der eigenen und sich unterscheidenden Gruppen zu zeigen. Das hängt damit zusammen, dass wir unsere gesamte Umwelt kategorisieren, um sie ordnen und so den Alltag bewältigen zu können. "Wir ordnen uns aber auch selbst diesen Kategorien zu und verknüpfen sie mit unserem Selbstbild", erklärt Andreas Beelmann, Psychologe an der Universität Jena und Präventionsforscher. "Das verursacht eine spezifische Bewertungskomponente." Diese kann unproblematisch sein, wenn sie keine Verhaltenskonsequenzen gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen hat und keinen zu großen Bewertungsunterschied beinhaltet.

"Kritisch wird es vor allem, wenn meine Identität nur auf ganz wenigen Merkmalen aufgebaut ist, die dann auch noch relativ starr und schwierig zu verändern sind, wie beispielsweise die Nationalität", so Beelmann. "Man könnte sagen, das sind Risikoidentitäten: Dann habe ich vielleicht nichts anderes für meinen Selbstwert, als dass ich Österreicher oder Deutscher bin, und das kann unheimlich schnell von außen bedroht werden."

Besonders anfällig für negative Vorurteile – die in der Wissenschaft am stärksten untersucht werden – sind Personen, die wenig Kontakt zu Angehörigen der vorurteilsbehafteten Gruppe haben. "Um welche Gruppen es sich dabei handelt und was das Vorurteil beinhaltet, wird stark durch die Medien und den öffentlichen Diskurs bestimmt", sagt Dagmar Strohmeier von der FH Oberösterreich. Wie Andreas Beelmann trat sie im Juni als Expertin bei der wissenschaftlichen Konferenz zu Toleranz und Radikalisierung in Zeiten sozialer Diversität in Wien auf. Die Tagung wurde vom Sir Peter Ustinov Institut ausgerichtet, das sich der Erforschung von Vorurteilen und – wie ihr Gründer und Namensgeber – ihrer Bekämpfung widmet. Wenn sich ein Vorurteil bei jemandem etabliert hat, spielen auch Wahrnehmungsverzerrungen eine Rolle, so Strohmeier: "Vorurteile bewirken eine selektive Wahrnehmung, die dazu beiträgt, dass ein Teufelskreis entsteht. Das Vorurteil verfestigt sich weiter und ist auch durch gegenteilige Fakten kaum zu ändern."

Drei Elemente führen zur Radikalisierung

Damit sich die Vorurteilsbelastung verstärkt und zu einer Radikalisierung entwickelt, sind drei Elemente notwendig. Das erste ist die Motivation: Dabei handelt es sich meist um eine subjektiv wahrgenommene oder auch reelle Bedrohung, Ablehnungserfahrungen oder Identitätskrisen. Zweitens muss man auf eine Ideologie zurückgreifen können, die mit der Bedrohung in Zusammenhang steht und beispielsweise politische Ziele verfolgt. Schließlich ist der Bezug zu einer bestimmten sozialen Gruppe nötig.

Um der Bildung von Vorurteilen entgegenzuwirken, entwickelten Andreas Beelmann und Kollegen in mehrjähriger Forschung das Programm zur Förderung von Akzeptanz, Respekt, Toleranz und sozialer Kompetenz (Parts). Die Zielgruppe sind Kinder im Alter von 8 bis 10 Jahren, denn Forschungsergebnisse zeigten, dass bei wenig Kontakt zu anderen sozialen Gruppen bis zu diesem Alter das Risiko, ihnen gegenüber Vorurteile zu entwickeln, steigt. Während des Programms werden den Kindern einerseits Wissen über andere Kulturen, andererseits mithilfe von Freundschaftsgeschichten Erlebnisse von Kindern aus verschiedenen Ländern vermittelt. Dies hat den Hintergrund, dass es in Gegenden mit geringer Zuwanderungsrate schwierig ist, persönliche Kontakte zwischen Kindern unterschiedlicher Kulturen herzustellen. Im Vergleich mit Gruppen, die nicht am Programm teilgenommen haben, waren die jungen Probanden anderen Kulturen gegenüber signifikant positiver eingestellt und sozial kompetenter. Dies zeigte sich auch noch fünf Jahre nach der Durchführung.

"Die beste Maßnahme ist jedoch nach wie vor die Kontaktintervention", sagt Beelmann. Diese gründet sich auf die bereits im Jahr 1954 aufgestellte Kontakthypothese, nach der häufiger Kontakt zu Mitgliedern anderer Gruppen die Vorurteile gegenüber diesen Gruppen verringert. Die Theorie gilt als robust, es sollten allerdings einige Bedingungen erfüllt sein: Die Personen aus verschiedenen Gruppen müssen sich auf Augenhöhe treffen und ein gemeinsames Ziel verfolgen – in Kooperation, nicht in Form eines Wettbewerbs. Die Situation sollte zudem möglichst wenig konfliktbelastet sein sowie von Autoritäten moderiert und unterstützt werden. Diese müssen eingreifen, falls sich die Lage verschärfen sollte, und die Bedingungen ändern oder die Übung ganz abbrechen.

Kontaktmöglichkeiten schaffen

"Man kann auch ganz lapidar sagen, die Kinder brauchen gemeinsame positive Erfahrungen", sagt der Präventionsforscher. Gerade Kinder von Flüchtlingen etwa seien aber sozial zu wenig eingebunden, so Dagmar Strohmeier: "Unsere Studien zeigen, dass Flüchtlingskinder außerhalb der Schule nur sehr wenige Kontakte zu österreichischen Kindern haben. Hier sollte man dringend Kontaktmöglichkeiten schaffen. Auch eine Sprache lernt man viel schneller, wenn man jemanden hat, mit dem man sie sprechen kann." Freundschaften ließen sich selbstverständlich nicht erzwingen, aber es gebe dann zumindest das Potenzial dafür.

Im Hinblick auf interkulturelle Freundschaften hängt manches auch von den Eltern ab: "Eltern gestalten vor allem bei kleinen Kindern die Freizeitmöglichkeiten. Wenn die Familien nicht in die gleichen Parks gehen oder ihre Kinder nicht im selben Hort unterbringen, haben sie einen hemmenden Einfluss."

Um interkulturelle Kompetenzen bei Schulkindern zu fördern, hat Dagmar Strohmeier das Wiener Soziale-Kompetenz-Programm, kurz Wisk, mit ins Leben gerufen. Es ist Teil der nationalen Strategie gegen Gewalt in Österreich und wird mittlerweile auch in Schulen in Rumänien, Zypern und der Türkei implementiert. Durch verschiedene Übungen sollen Schüler, aber auch Lehrer und Eltern mehr Empathie entwickeln und andere Perspektiven einnehmen können. "Dass dabei das Lehrerkollegium möglichst geschlossen am Programm teilnimmt, ist ein entscheidender Faktor", unterstreicht die FH-Professorin für Soziale Arbeit. Für die Prävention von Gewalt unter den Schülern spielt das Klassenklima eine wichtige Rolle: "Das Problem sind nicht einzelne aggressive Schüler oder Schülerinnen, denn diese befinden sich immer in einem sozialen Kontext, der aggressives Verhalten und Mobbing verstärkt oder reduziert." Dementsprechend arbeite man auch mit der ganzen Klasse – sonst könne etwa Mobbing im einen Fall unterbunden werden, die Täter sich jedoch ein neues Opfer suchen. (Julia Sica, 4.7.2016)