Frankreichs Passnetzwerk beim Triumph über Island verrät einiges über den Zusammenhang von "Organisation und Entscheidung", wie es der selige Bielefelder Fußball-Systemtheoretiker Niklas Luhmann formuliert hätte. Entschieden war das Spiel im Grunde nach dem 2:0 in der 20. Minute. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Island sogar mehr Chancen kreiert, dann aber wurde die kämpferische Poesie der Nordlichter durch den diskreten Charme der französischen Präzision entzaubert.
Federführend in der Spielorganisation agierte eine robuste Tarockrunde im Zentrum zwischen Umtiti, Koscielny, Matuidi und Pogba. Hier zirkulierte der Ball so lange im Kreis, bis den Isländern schwindlig wurde. Am eklatantesten zelebrierte man das "Such-den-Ball"-Spiel gleich nach dem Seitenwechsel, nachzusehen in der Aktivitätskurve, die einen Wert von mehr als 80 französischen Pässen in fünf Minuten verzeichnete.
Luhmann beschreibt einen solchen Prozess mit der paradoxen Wendung "schließen, um zu öffnen". Und wahrlich: Die Schleusen öffneten sich und der Ball drang überfallsartig in die Tiefen des isländischen Walls ein, einmal hopp, also hoch in den Rücken der Viererkette, dann wieder tropp, ebenso flach wie präzise und allermeist vom Zauberfuß Pogbas an die willigen Empfänger Griezmann und Giroud überstellt.
Vor allem der arme isländische Innenverteidiger Arnason war von der spielerischen Wucht der Blauen so paralysiert, dass er in der Pause auf die Bank durfte. Von dort aus sah er, wie sich zum Abschluss noch ein letztes kleines isländisches EM-Wunder ereignete. Angetrieben vom nimmermüden Grimmbart Gunnarsson schenkte man den Gastgebern noch zwei schöne Tore ein und verabschiedete sich gerupft, aber nicht zerzaust.
Eine interessante Parallele zeigt uns die taktische Typologie: Im zentralen Mittelfeld gab es auf beiden Seiten eine klare Aufgabenteilung. Matuidi und G. Sigurdsson gaben eher die ballerobernden Domestiken, während Pogba und Gunnarsson mehr fürs Spiel nach vorne verantwortlich zeichneten.
(Helmut Neundlinger, 4.7.2016)