Bei der ersten Stichwahl konnte der ORF bereits um Punkt 17 Uhr Hochrechnungen vorlegen. Dass bereits Wahlschluss Daten übermittelt werden, verstößt für den VfGH aber gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl.

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Ein Punkt sorgte bei der Verkündung des Höchstgerichtsentscheids für heftige Debatten. Die Tatsache, dass das Innenministerium bereits vor Wahlschluss erste Ergebnisse an Medien und Hochrechner weitergibt, verletze den Grundsatz der Freiheit der Wahl – auch wenn sich diese vertraglich verpflichten, nichts zu veröffentlichen. Überraschend waren die Bedenken vor allem deshalb, weil es sich um eine langjährige Praxis des Innenministeriums handelt, die auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt war.

Bei der Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) erkundigte sich Richter Johannes Schnizer beim Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, Robert Stein, wie die Datenübermittlung funktioniere und wie sie in den vergangenen Jahren gehandhabt worden sei. Bei Beobachtern sorgt das für Verwunderung. Schnizer war nämlich, bevor er Verfassungsrichter wurde, über lange Jahre hinweg Mitglied der Bundeswahlbehörde. Laut seinem Lebenslauf gehörte er dem Gremium zwischen 1994 und 2008 an.

Schon in den 90ern Thema

Es stellt sich natürlich die Frage, ob der heutige Richter, der zwischen 2007 und 2008 auch Kabinettschef von Kanzler Alfred Gusenbauer war, seinerzeit keine Bedenken gegen die Weitergabe von Wahldaten an Medien hatte. Auf STANDARD-Anfrage erklärte Schnizer, dass die Problematik schon in den 90er-Jahren Thema in der Wahlbehörde gewesen sei. Damals habe das Innenministerium aber nur zwei Vertragspartner gehabt – den ORF und die Austria Presseagentur. Eine unerlaubte Weitergabe von Ergebnissen sei daher nur "punktuell" denkbar gewesen. Daher habe auch er in der Wahlbehörde zugestimmt. Als es 2002 erstmals Probleme mit der Nichteinhaltung einer Sperrfrist durch einen Privatsender gab, sei mit einer Verschärfung reagiert worden. Medien mussten nicht nur eine Erklärung zur Nichtweitergabe abgeben, ihnen drohten nun auch Konventionalstrafen.

Durch Twitter, Facebook und Co. hätten sich mittlerweile aber die Voraussetzungen geändert. Durch soziale Medien könnte theoretisch eine viel weitergehende Veröffentlichung von Ergebnissen vor Wahlschluss stattfinden, sagt Schnizer. Zudem habe das Innenministerium heute nicht zwei, sondern 20 Vertragspartner. Vor diesem Hintergrund habe sich die Rechtswidrigkeit der Datenweitergabe ergeben, erklärt Schnizer. Wie er selbst im VfGH abgestimmt hat, sagt er nicht. Das Einzelstimmverhalten der Richter wird traditionell nicht veröffentlicht. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger hat aber angedeutet, dass eine klare Mehrheit für eine Aufhebung der Wahl war. (Günther Oswald, Peter Mayr, 3.7.2016)