Das große Herz Italiens hat nicht ausgereicht.

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Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl sind das dynamische Duo im Fernsehstudio bei den Deutschland-Partien.

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Bordeaux – "Gigi" Buffon ließ seinen Tränen freien Lauf, Andrea Barzagli musste ein Interview vor laufender Kamera weinend abbrechen: Wenige Minuten nach dem bitteren EM-Aus gegen Deutschland saß die Enttäuschung beim viermaligen Weltmeister Italien tief. Erst am Sonntag mischte sich unter die Trauer auch ein wenig Stolz.

"Das war das schlimmste Ausscheiden von allen, ein Schock. Dennoch: Wir haben viel erreicht", sagte Torhüter Gianluigi Buffon nach dem Viertelfinal-K.o. in einem dramatischen Elfmeterschießen. Nachdem Jonas Hector den 18. Elfmeter unter den Armen des 38-Jährige hindurch geschossen hatte, hockte Buffon mit feuchten Augen auf dem Rasen. Vielen Mitspielern ging es nicht besser.

Schämen musste sich die Mannschaft des scheidenden Trainers Antonio Conte indes nicht. "Helden, trotz allem!", titelte die Gazzetta dello Sport am Sonntag, "Italien verdient Applaus", schrieb der Corriere dello Sport. La Repubblica nannte das EM-Ende "bitter, aber ehrenhaft." Sogar Conte wurde für sein "taktisches Meisterwerk" gegen den Weltmeister gelobt.

Contes Konter

Dem künftigen Chelsea-Teammanager Conte waren solche Hymnen indes herzlich egal. Seine letzte Pressekonferenz als Nationaltrainer nutzte der 46-Jährige zu einer Abrechnung. "Ich habe mich niemals unterstützt gefühlt. Von niemandem", sagte Conte über seine zweijährige Amtszeit: "Okay, der Präsident des Verbandes stand immer auf meiner Seite. Die Presse aber nicht." Seine Kritiker hätten jede Chance genutzt, "Zwietracht zu säen" oder "Aufmerksamkeit im Fernsehen" zu erhaschen.

Conte übergibt nun an Giampiero Ventura. Der 68-Jährige soll bei der Squadra einen Neuanfang einläuten, auch wenn der genaue Weg noch unklar ist. "Die Farbe dieses Teams unter Ventura ist nicht ganz klar. Bleiben die Veteranen Barzagli, Bonucci, Chiellini und Buffon?", schrieb die Gazzetta am Sonntag. Zumindest Buffon hatte zuletzt die WM 2018 zu seinem großen Ziel erklärt.

"Eine kleine Kriegsmaschine"

Seinen ersten Kader wird Ventura Ende August nominieren, sein Debüt gibt er am 1. September in Bari gegen Frankreich. Dem Routinier steht kein einfacher Job bevor, Conte hat die Latte hoch gelegt. Dem Vernehmen nach will Ventura, der bereits Sampdoria Genua, Hellas Verona, den SSC Neapel und zuletzt den AC Turin trainierte, zumindest Andrea Barzagli (35) überzeugen, bis 2018 weiterzumachen.

"Die Niederlage schmerzt wirklich. Aber jetzt wendet die Squadra das Blatt und startet aufs Neue", schrieb die Zeitung Tuttosport dann auch hoffnungsvoll. Auch Conte, der jedem Spieler zum Abschied persönlich die Hand schüttelte und gratulierte, traut der Mannschaft eine große Zukunft zu: "Diese Generation kann sehr weit kommen. Ich hinterlasse eine kleine Kriegsmaschine."

Scholl legt los

Ebenso wie Conte war auch ARD-Fernsehexperte Mehmet Scholl nach dem Spiel nicht mehr zu stoppen. Diesmal hatte er Chefscout Urs Siegenthaler "und Konsorten" als Fehler-Einflüsterer bei Joachim Löw ausgemacht. Und auch der Teamchef kam nicht gut weg.

"Der Herr Siegenthaler möge bitte seinen Job machen, morgens liegen bleiben, die anderen zum Training gehen lassen und nicht mit irgendwelchen Ideen kommen", sagte der frühere Nationalspieler, der vor einigen Monaten schon einmal seine Ablehnung gegen "Laptop-Trainer" kundgetan hatte. Vor vier Jahren hatte Scholl schon mit einem sehr persönlichen Angriff gegen Stürmer Mario Gomez ("Hatte Angst, dass er sich wundliegt") Aufsehen erregt. Später entschuldigte er sich dafür.

Scholl hielt augenscheinlich die Umstellung auf eine Dreierkette vor dem Italien-Spiel für falsch. Er war der Ansicht, Löw haben sich von seinen Spielbeobachtern um "Superhirnli" Siegenthaler zu diesem Manöver überreden lassen. "Ich weiß nicht, ob es nur Siegenthaler ist, aber Jogi Löw wacht nicht nachts auf und sagt: 'Jetzt hab' ich's: Dreierkette, Dreierkette, Dreierkette'", schimpfte der 45-Jährige: "Das hätte man heute auch anders lösen können. Man hätte die Passwege unterbinden können mit der gewachsenen Mannschaft. Das hätte genauso funktioniert, aber dann hätten wir uns nicht unserer Stärke nach vorne beraubt."

Löws Antwort

Löw wusste von diesen Attacken wahrscheinlich noch nichts, als er auf der Pressekonferenz über das Thema sprach. Die Dreierkette gegen Italien spielen zu lassen, sei nach dem Spiel der Italiener gegen Spanien sein "erster Gedanke" gewesen, versicherte er. Seiner also. "Ich weiß, dass über so etwas diskutiert wird. Aber es war dringend notwendig."

Löws Erläuterung klang plausibel. Vereinfacht gesagt: Die Mitte musste dicht sein. Das hat funktioniert. Wobei die Erläuterung auch wieder das Geständnis enthielt: Löw hat sich erneut dem Gegner angepasst.

Ein Fehler, sagt Scholl. "Es geht nicht darum, zu schimpfen", versicherte er: "Aber warum bringt man eine Mannschaft, die so funktioniert, in so eine Situation?" Er lieferte bittere Beispiele. "2008: angepasst und gegen Spanien verloren. 2010: angepasst an die Spanier – rausgeflogen. 2012 angepasst an die Italiener – rausgeflogen." (sid, red, 3.7.2016)