VfGH-Vizepräsidentin Brigitte Bierlein und ihr Chef Gerhart Holzinger zünden die politische Bombe.

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Als Verfassungsgerichtshofspräsident Gerhart Holzinger Freitagmittag die Aufhebung der Bundespräsidenten-Stichwahl verkündete, musste ich an den Baron von Innstetten aus Theodor Fontanes "Effie Briest" denken, der von einer lange zurückliegenden flüchtigen Affäre seiner jüngeren Frau erfährt und diese daraufhin brutal verstößt (und seinen einstigen Nebenbuhler erschießt). Obwohl er sie eigentlich liebt, ist er überzeugt, das einzig Richtige zu tun, um Moral und Recht zu bewahren.

Auch Holzinger präsentierte sich als Bewahrer des Rechtsstaates und der Demokratie, als er das Land in eine tiefe politische Krise stürzte. Die Höchstrichter hätten keine Wahl gehabt, als erstmals in der Geschichte der westlichen Demokratie einen ganzen nationalen Wahlgang aufzuheben, erklärte er. Dafür erhält er nun von allen politischen Kräften und den meisten Kommentatoren kräftigen Applaus.

Der Gerichtshof hatte eine Wahl

Der ist nicht angebracht. Natürlich hatte der Verfassungsgerichtshof eine andere Wahl. Er hätte die Verfahrensfehler am 22. und 23. Mai als das bezeichnen können, was sie waren: Schlampereien überforderter Wahlbehörden, die keinerlei Einfluss auf das Wahlergebnis hatten. Es waren Mängel, die zwar zukünftige Verfahrensänderungen, aber sicher keine polarisierende und teure Neuwahl erzwingen.

Nicht nur wurden keine Manipulationen von irgendeiner Seite behauptet, es gab auch keine plausible Erklärung, wie eine solche Manipulation hätte stattfinden können. Die Wahlen sind vom Ergebnis her völlig korrekt abgelaufen. Bloß die FPÖ war mit dem Resultat nicht zufrieden, und hat in den selbstgerechten Juristen Verbündete gefunden, um ihrem Kandidaten Norbert Hofer eine weitere Chance zu geben, die in der österreichischen Verfassung so nie vorgesehen ist.

100 Prozent der Stimmen an Hofer?

Die ganze Theorie einer möglichen Wahlfälschung, die Holzinger präsentierte, beruht auf realitätsfremden Fiktionen. Ja, in einigen Bezirken wurden die Briefwahlstimmen von Beamten ausgezählt, weil die freiwilligen Beisitzer keine Zeit hatten, Montagmorgen dabei zu sein.

Aber in diesen Bezirken hätte Hofer praktisch 100 Prozent aller Stimmen bekommen müssen, damit sich am Ergebnis etwas ändert. Und diese blauen Stimmen hätten die offenbar von den Grünen gekauften Beamten schwuppdiwupp in Van-der-Bellen-Stimmen umwandeln müssen.

Theoretisch wäre das möglich gewesen, aber theoretisch können auch Außerirdische in Villach landen und die Wahlzettel austauschen. Und selbst bei einer Wahl ohne festgestellten Formfehlern ist es möglich, dass eine Partei alle Funktionäre und Beisitzer besticht und so eine massive Wahlfälschung betreibt. Das ist in anderen Ländern schon vorgekommen.

In der Verfassung steht etwas anderes

Die Richter beriefen sich bei ihrer rigiden Auslegung dabei auf eine ständige Rechtssprechung, die auf Hans Kelsen, den Vater der österreichischen Verfassung, zurückgeht. Dieser hat die Möglichkeit einer Manipulation durch einen Verstoß gegen die Vorschriften als ausreichenden Grund betrachtet, eine Wahl für ungültig zu erklären.

Aber in der Verfassung selbst steht dezidiert, dass eine Wahl nur dann aufzugeben ist, wenn eine Verletzung auf das Ergebnis "von Einfluss war" – nicht "von Einfluss hätte sein können". Und es ist etwas anderes, ob man im Zweifel in einem Bezirk neu wählen lässt oder ein ganzes Volk zurück zur Urne schickt, bloß weil man die Rechtssprechung nicht an Realitäten anpassen will. Das ist fahrlässiger Unfug, vor dem wohl auch Kelsen zurückgeschreckt wäre.

Hoher Preis für Rechtsfundamentalismus

Der politische und der finanzielle Preis dieser Übung in Rechtsfundamentalismus ist einfach zu hoch.

Ein Gerichtshof, der sich an den Wortlaut und den Geist der Verfassung sowie an den festgestellten Tatsachen hält, hätte die Politik zwar ermahnt, die Regeln zu ändern oder in Zukunft für ihre korrekte Durchführung zu sorgen, aber das Ergebnis der Stichwahl stehengelassen.

Ja woher kommen denn die Hochrechnungen?

Auch der zweite Aufhebungsgrund ist skurril. Seit Jahrzehnten gibt das Innenministerium Teilergebnisse an Medien und Forschungsinstitute weiter. Ohne dieses Vorgehen kann es um 17 Uhr im ORF keine Hochrechnung geben. Offenbar haben sich das die Richter am Wahlabend noch nie überlegt.

Diese Praxis kann das Höchstgericht für die Zukunft abstellen, wenn es tatsächlich fürchtet, dass es die Wahl beeinflusst, wobei es auch dafür bisher keinerlei Anhaltspunkte gegeben hat. Die wenigen Politikinsider, die von diesen frühen – oft falschen – Trends erfahren, haben alle schon längst gewählt. Und deshalb muss eine bereits geschlagene Wahl wiederholt werden?

Eine Mücke wird zum gefährlichen Elefanten

Die Richter haben aus einer juristischen Mücke einen gefährlichen Elefanten gemacht, der jetzt über die österreichische Demokratie trampelt. Es ist eine Verletzung unserer Rechtsordnung, dem Wahlverlierer eine zweite Chance zu geben, in der er dann einen strukturellen Vorteil hat: mehr Geld, viel Motivation und einen juristischen Sieg in der Tasche.

Holzinger und Co haben einer Partei, die mit dem Rechtsstaat sonst wenig am Hut hat, erlaubt, sich als Verteidiger unserer demokratischen Werte zu präsentieren. Sie haben damit genau das gemacht, was ein Höchstgericht nicht tun sollte: Politik.

Richter beweisen ihre Wichtigkeit

Die Höchstrichter wollten das zwar nicht, aber sie wollten ihre Wichtigkeit beweisen. Dass als Folge Österreich einen Bundespräsidenten erhalten könnte, der die legitime Wahl verloren hat und dem Land in Zukunft zeigen will, "was alles möglich ist", nahmen sie in Kauf. (Eric Frey, 2.7.2016)