Erahnte aus Erfahrung das Urteil: Adamovich.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Als Ex-Präsident des Verfassungsgerichtshofs, der sich zum Ausgang des Prüfverfahrens zur Hofburg-Stichwahl mit seiner Einschätzung zurückgehalten hat: Sind Sie von Spruch und Tempo der Höchstrichter überrascht – oder haben Sie genau damit gerechnet?

Adamovich: Angesichts der Vorjudikatur war das Resultat für Experten prognostizierbar. Wozu es bisher aber keine Spruchpraxis gab, war das Problem mit der vorzeitigen Bekanntgabe von Gemeinde-Resultaten durch die Bundeswahlbehörde. Intern habe ich schon davor oft darauf hingewiesen, dass das ein gefährlicher Punkt ist. Besonders unglücklich über die neuen strikteren Richtlinien werden aber die Medien sein.

STANDARD: Das ist korrekt, weil es die Berichterstattung erschwert. Ohne Reform des Briefwahlrechts, das das Verfassungsgericht für adäquat befunden hat, geraten die Wahlbeisitzer beim dritten Wahlgang aber doch erneut unter Zeitdruck, mit dem viele ihr vorzeitiges Auszählen ja gerechtfertigt haben?

Adamovich: Deswegen hat Präsident Gerhart Holzinger ausdrücklich dafür geworben, dass die Wahlbeisitzer künftig unterstützt werden. Es ist anzunehmen, dass sich die Politik nun bemüht, für die Leute die Auszählung leichter zu gestalten, denn das ist ja alles kein Spaß für sie. Einerseits sollte es bessere Informationen für Beisitzer geben, andererseits ihre Tätigkeit besser gewürdigt werden.

STANDARD: Waren Sie angesichts der Aussagen schockiert über die Vorgänge in Österreichs Wahllokalen?

Adamovich: Festzuhalten ist, dass es in einzelnen Bezirken nicht korrekt zugegangen ist. Die Vorgänge, die jetzt zur Aufhebung geführt haben, die hat es sicher schon lange Zeit gegeben – und solange die Wahl niemand angefochten hat, sind die Probleme rund um das Auszählen halt mitgeschleppt worden.

STANDARD: Nicht aus juristischer, aber aus staatsbürgerlicher Sicht: Ist es dann gerecht, dass gleich die ganze Wahl wiederholt werden muss – wo doch angesichts der dortigen Gepflogenheiten schon bei früheren Wahlen manipuliert werden hätte können?

Adamovich: Das ist generell ein Problem der Rechtskraft: dass in vielen Fällen schon davor Unrechtmäßiges passiert ist, was später nicht mehr aufgegriffen werden kann. Das Ganze ist also keine Besonderheit dieses Verfahrens, entsprechende Urteile kommen bei Gerichten immer wieder vor. Aber all das geschieht im Interesse der Rechtssicherheit und der Einhaltung von Prinzipien.

STANDARD: Bald übernimmt das Nationalratspräsidium die Geschäfte des Staatsoberhaupts. Muss Norbert Hofer als Dritter Parlamentspräsident in seiner Interimsrolle verfassungsrechtlich Besonderes berücksichtigen – oder kann er als FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat nebenbei getrost wahlwerben, wie er will?

Adamovich: Natürlich könnte für einige dabei der Eindruck der Befangenheit entstehen. Aber auch wenn ein amtierender Bundespräsident zum zweiten Mal kandidiert, macht er neben seiner Funktion natürlich auch Wahlpropaganda für sich. Das ist von der Verfassung offenkundig so in Kauf genommen – und ich nehme nicht an, dass das ein rechtsstaatliches Problem ist.

STANDARD: Warum darf das Wahlvolk nicht erfahren, ob die vierzehn Höchstrichter einstimmig, mit breiter oder knapper Mehrheit ihr Urteil gefällt haben?

Adamovich: In Österreich ist es unüblich, das publik zu machen. Dafür gibt es gute Argumente wie Gegenargumente. Die Überlegung bei unserer Praxis ist, dass damit auf die Höchstrichter kein Druck ausgeübt wird und dass sie als Person nicht angeschossen werden können. Wenn Sie sich erinnern, hat man mir während meiner Zeit ja vorgehalten, dass eine gewisse heikle Entscheidung mit meiner dirimierenden Stimme zustande gekommen wäre (das Kärntner Ortstafel-Urteil, Anm.). Da war freilich kein wahres Wort daran. Das zeigte auch, dass man besser Diskretion hält.

STANDARD: Wenn auch da stets strenge Geheimhaltung walten muss: Wie konnte dann durchsickern, wann das Höchstgericht sein Urteil verkündet – und auch, was ungefährer Inhalt ist?

Adamovich: Es gibt keinen Nachweis für Indiskretionen. Ich habe zumindest keine gebraucht, um zu ahnen, wie die Sache ausgeht. Denn jeder, der sich auskennt, konnte davor fünf und fünf zusammenzählen. (Nina Weißensteiner, 2. 7. 2016)