Volksabstimmungen sind eine kostbare Sache. Deshalb soll man sehr behutsam mit ihnen umgehen. "Direkte Demokratie" – klingt gut. Aber die Demokratie ist keine absolute Diktatur der Mehrheit über die Minderheit. Noch dazu, wenn sie so knapp ausfällt wie das britische Brexit-Referendum. "Den" klaren Volkswillen gibt es nur selten. Und er ist auch nur selten absolut, denn er wird durch die Verfassung, durch Wahlen, durch Parlamente, den Rechtsstaat in einen Rahmen gestellt. Die Demokratie ist ein System der Checks and Balances. Die Mehrheit soll möglichst auf die Minderheit Rücksicht nehmen.

Plebiszite sind bei Diktatoren und Demagogen beliebt. In Diktaturen wird das Ergebnis einfach erzeugt. Demagogen oder Populisten lieben die Gelegenheit, die Emotionen mit geschickten Lügen anzustacheln. Wenn man mit soundso vielen Unterschriften ein Referendum erzwingen kann, fällt die Phase der Verhandlungen, der Kompromissversuche weg (deshalb gibt es in Österreich nur Volksabstimmungen über im Parlament beschlossene Gesetzesvorschläge).

Es gibt Fragen, bei denen letztlich mit Ja oder Nein geantwortet werden muss. Der EU-Beitritt war eine solche (es ging 67:33 aus). Auch damals haben Rechtspopulisten Lügen erzählt ("Blutschokolade"). Aber dem Referendum war eine lange, intensive Diskussion vorausgegangen. Das macht den Unterschied. (Hans Rauscher, 1.7.2016)