Dominique Meyer ist zufrieden: Mit 34,58 Millionen Euro gibt es einen Einnahmenrekord; erstmals kamen heuer 610.461 Gäste in die Oper.

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STANDARD: Haben Sie erwartet, dass die Briten mehrheitlich für den Brexit stimmen?

Meyer: Ich war nicht überrascht. London ist kein Spiegel Großbritanniens. Leider werden viele Leute jetzt verstehen, dass sie falsch entschieden haben. Man darf nicht unterschätzen, was passiert ist, der Traum von Europa war groß. Bei der Gründung war man noch vom Bewusstsein geprägt, dass es nie wieder Krieg zwischen Deutschland und Frankreich geben darf. Jetzt sind wir in einer Phase, in der diese Angst nicht mehr vorhanden ist, obwohl die Gefahr besteht, dass einmal etwas passiert. Und dann, glaube ich, hat man zwei Fehler gemacht: Man hat zu rasch Länder mit zu unterschiedlichen ökonomischen Grundlagen aufgenommen, und es gibt in Brüssel zu viel Bürokratie. Aus einem Traum hat man einen Haufen Gesetze gemacht. So finden Populisten leichter einen Feind.

STANDARD: Sie haben in Frankreich ganz bewusst einen Ort verlassen, als die Front National die Macht übernahm.

Meyer: Ich war Präsident des Balletts Angelin Preljocaj, der wichtigsten französischen Institution für modernen Tanz. Wir waren sehr gut aufgehoben in Toulon, bis wir eines Sonntags feststellen mussten, dass die Front National die Stadt politisch erobert hatte. Am nächsten Tag, in der Früh, habe ich den Minister angerufen und gesagt, dass wir weggehen. Es gibt Dinge, die ich nicht bereit bin zu tun, wenn es gegen meine Grundsätze geht. Und in dem Fall haben wir eine sehr gute Lösung gefunden: Das Ballett hat seither einen hervorragenden Sitz in Aix-en-Provence. Seinen Ideen treu zu sein, kann zu sehr guten Lösungen führen.

STANDARD: Auch in Ihrem unmittelbaren Bereich gibt es neue Personen, einen neuen Chef der Holding, einen neuen Kulturminister.

Meyer: Ich bin sehr glücklich mit Holding-Chef Christian Kircher, er ist sehr besonnen, er kann zuhören, er hat gute Stimmung mitgebracht. Wir hatten ja Situationen erlebt, in denen wir gute Ergebnisse geliefert haben, schwarze Zahlen, und dennoch wurde uns vorgeworfen, nicht gut genug zu sein. Es geht uns nach wie vor gut. Wir haben in dieser Saison um eine halbe Million mehr Einnahmen aus dem Kartenverkauf erzielt als in der letzten Spielzeit – mit 34,58 Millionen einen neuen Rekord. Einen Rekord seit der Ausgliederung haben wir übrigens auch bei den Besucherzahlen mit 610.461 Gästen. Die Anzahl der Kinderkarten hat sich um über 20 Prozent auf 11.652 erhöht. Sehr gut sind auch die Ergebnisse in der Walfischgasse: Wir haben gegenüber dem Opernzelt die Kartenanzahl in etwa verdoppelt auf 12.208. Es herrschen in der neuen Spielstätte gute, normale Bedingungen. Es ist auch ökonomisch sinnvoll, es rechnet sich. Und wir haben ab der neuen Saison mit Agrana auch einen Hauptsponsor dieser Studiobühne.

STANDARD: Sie haben für den Verbleib von Josef Ostermayer unterschrieben, jetzt ist Thomas Drozda Kulturminister.

Meyer: Ich fand, Josef Ostermayer hat es gut gemacht. Er hat etwa Geld aufgetrieben: die dringend notwendigen zusätzlichen 14 Millionen für die Bundestheater. Ich bin aber auch glücklich mit der Entscheidung für den neuen Minister Thomas Drozda: Er kennt sich gut aus, er ist vom Fach.

STANDARD: Werden sie bei der Ausschreibung für eine dritte Amtsperiode mitmachen?

Meyer: Ich bin nach wie vor sehr glücklich in Wien und fühle mich mit den Mitarbeitern sehr wohl. Ich habe mich auch in das Repertoiresystem verliebt. Man kann natürlich gut oder schlecht über Premieren schreiben. Aber mich beschäftigt auch, wie man das Repertoiresystem modernisieren kann, damit eine Repertoirevorstellung ebenso attraktiv ist wie eine Premiere. Ich denke, dass die Ergebnisse sichtbar sind. Auch was wir im Sinne der zeitgenössischen Oper begonnen haben, möchte ich weiter vorantreiben. Wir haben Uraufführungen mit Olga Neuwirth und Johannes Maria Staud geplant. Und Krzysztof Penderecki schreibt für uns "Phädra" für 2019. Es gibt Auftragswerke für Kinderopern: Nächste Saison kommt Tristan Schulzes "Patchwork", Elisabeth Naske arbeitet an einer neuen Kinderoper – und es gibt einen Auftrag an Albin Fries, einem Musiker des Hauses, für eine Kinderoper im großen Haus. So wie es in der abgelaufenen Saison Johanna Doderers erfolgreiche "Fatima" war. Insgesamt sind also für die nächsten 4 Spielzeiten 6 Uraufführungen fixiert!

Wir wollen auch weiterhin Werke des 20. Jahrhunderts spielen: Es kommt Gottfried von Einems "Dantons Tod" als Staatsopernerstaufführung 2017/2018 – mit Susanna Mälkki am Dirigentenpult. Und wir werden ebenfalls übernächste Saison "Lulu" in der kompletten Fassung von Friedrich Cerha bringen. Wir haben ja eine sehr gute Produktion der zweiaktigen Fassung von Willi Decker – er wird nun seine Inszenierung auffrischen und sie um den 3. Akt, den er ja in Paris schon inszeniert hat, ergänzen. Ich war übrigens glücklich mit den Reaktion bei "The Tempest" und "Tri Sestri": es wurden gejubelt, das Publikum war begeistert. Sie sagten beim Rausgehen nicht, "es war interessant" – das bedeutet ja immer bei zeitgenössischen Werken, es war in Wahrheit langweilig.

STANDARD: Was wäre in einer möglichen dritte Periode zu erwarten?

Meyer: Ich will auch junge Regisseure holen, die auch mit neuen Technologien arbeiten. Ich möchte – so wie wir es für die nächsten Saisonen bereits vorgesehen haben – in jeder Spielzeit eine Uraufführung bringen und auf dieser Schiene weitergehen. Das ist nicht immer einfach, da ja nicht sicher, dass ein Werk auch rechtzeitig fertig wird. Auch die Probensituation ist dadurch anspruchsvoller. 110 Proben mit Orchester sind ja insgesamt möglich, seit wir die Anzahl von 90 auf eben 110 in den letzten Kollektivvertragsverhandlungen mit dem Orchester erhöhen konnten. Es gibt aber auch Repertoirestücke, die mehr geprobt werden müssen. Nicht unbedingt wegen des Orchesters, sondern weil Dirigenten es wollen oder wenn z.B. ein Sänger ein Rollendebüt gibt.

STANDARD: Für die dritte Periode würden sie doch wieder einen Musikchef andenken?

Meyer: Es könnte sein, dass sich jemand stark dafür einsetzt.

STANDARD: Wie meinen Sie das? Dass sich jemand sehr aufdrängt, Kandidat zu werden?

Meyer: Genau. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es einen Musikdirektor gibt. Es gibt aber nicht viele, die so eine Aufgabe an so einem Haus erfüllen können.

STANDARD: Bei der Einweihung der Alban Berg Denkmals waren sie nicht dabei vor der Staatsoper? War das Symbolik dabei?

Meyer: Nein. Meine Priorität ist aber, Werke von Berg zu spielen. Die letzte Serie von "Wozzeck" war übrigens die erste in der Geschichte des Hauses, die ganz ausverkauft war. Und "Lulu" kommt – wie gesagt – auch bald wieder zurück. Ich finde es aber berechtigt, dass Berg ein Denkmal bekommt.

STANDARD: Ideen, die sie hatten, und die nicht funktionierten?

Meyer: Ich dachte, man muss jungen Dirigenten viele Proben geben. Es gibt aber sehr gute, die so eingeschüchtert sind vom Orchester, dass sie dann nichts sagen und sich die Musiker dann fragen, wozu also jetzt die Proben. Gute Dirigenten sind manchmal eben gut für Vorstellungen, aber nicht für Proben. Das muss man auch hier lernen. Man hat mitunter Ideen, die nicht zum Haus passen. So habe ich am Anfang auch manchmal zu "kleine" Stimmen eingesetzt, weil ich die Akustik des Hauses nicht so verstanden habe. Das war also auch ein Lernprozess.

STANDARD: Manchmal verlässt mutige Regisseure an der Staatsoper der Mut.

Meyer: Das kann auch passieren. Und viele Gründe haben, mitunter auch, weil sie nicht unbedingt ausgebuht werden wollen …

STANDARD: Wird Franz Welser-Möst wieder am das Haus dirigierend zurückkehren?

Meyer: Wir diskutieren über zwei Projekte für 2019/2020. Ich würde mich freuen, wenn er zurückkehren würde. (Interview von Ljubisa Tosic, 1.7.2016)