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Eine der jüngsten Inkarnationen des Aschenputtels: Anna Kendrick im Film "Into the Woods".

Foto: AP Photo/Disney Enterprises, Inc., Peter Mountain

Von der Erzählerin Elisabeth Schellenberg sind leider keine Bildnisse überliefert. Ihr ehemaliges Haus in Marburg steht allerdings immer noch.

Foto: Ehrhardt

Kassel – Nach mehr als 200 Jahren wollen Forscher das Rätsel gelöst haben, wer den Brüdern Grimm das weltbekannte Märchen "Aschenputtel" erzählt hat – es war eine alte Frau aus Marburg namens Elisabeth Schellenberg. "Die Frau ist die mündliche Quelle. Sie hat die Erzählung geprägt", sagte Grimm-Forscher Holger Ehrhardt von der Universität Kassel. Er hatte den Namen herausgefunden.

Ehrhardt war Hinweisen aus Briefen Wilhelm Grimms an seinen Bruder Jacob nachgegangen und hatte diese mit Tauf- und Sterberegistern Marburger Kirchen sowie Bewohnerlisten von Armenhospitälern verglichen. Schellenberg starb verarmt und kinderlos 1814. "Sie verbrachte ihre letzten Jahre im Siechenhaus St. Jost", sagte Ehrhardt, der dazu das Buch "Die Marburger Märchenfrau" herausgebracht hat.

Mit Trick zum Erzählen gebracht

Wilhelm Grimm wollte sich 1810 von der damals 64 Jahre alten Frau in Marburg Märchen erzählen lassen, doch diese wies ihn ab. Erst durch einen Trick – er schickte eine Frau und deren Kinder zu Schellenberg – rückte sie ihre Märchen heraus und erzählte nicht nur "Aschenputtel", sondern auch das weniger bekannte Märchen "Der goldene Vogel". Von Schellenberg gibt es kein überliefertes Bild, ihr ehemaliges Wohnhaus steht aber noch heute. Die Namen anderer Quellen der Grimmschen Erzählungen sind seit langem bekannt.

Wilhelm und Jacob Grimm lebten mit Unterbrechungen zwischen 1798 und 1841 in Kassel. Dort sammelten sie ihre Kinder- und Hausmärchen und begannen die Arbeit an ihrem Wörterbuch.

Rückgriff auf andere Überlieferungen

Die Identifizierung der Quelle zeigt auch, dass sich die Gebrüder Grimm Freiheiten nahmen: Schellenbergs Lebensumstände würden nämlich nahelegen, dass sie keinen Zugang zu Literatur und kaum Kontakt zu französischen Überlieferungen hatte. Das stütze einen Befund, den auch eine genaue Analyse der Texte liefere: "Die Brüder Grimm haben Züge aus französischen Überlieferungen oder aus Buchmärchen selbst zu diesen Erzählungen hinzugefügt", so Ehrhardt.

Laut dem Experten stehen die jüngsten Erkenntnisse also gegen eine in den letzten Jahrzehnten in der Grimm-Forschung populär gewordene Auffassung, wonach den Brüdern Grimm literarische beziehungsweise außerdeutsche Einflüsse nicht bewusst gewesen seien. (APA, red, 1. 7. 2016)