Gelerntes wird im Job nur selten eingesetzt. Die deutschen Forscher sehen den Grund dafür in Prüfungsmethoden wie Multiple Choice. Lehrende würden die Lehre an der Prüfung ausrichten.

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Helfen könnten digitale Tools. die das Lernen auf eine spielerische Ebene bringen – das so genannte Game-based Learning erhöhe nachweislich die Motivation.

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Die Studienzeit erscheint selbst Berufseinsteigern oft Jahrzehnte her. Die wichtige Formel, den Aufbau des Dieselmotors, die Rolle des EU-Kommissionspräsidenten hat man nur noch vage im Kopf – und von wem stammt nochmal die berühmte Kommunikationstheorie?

Das große Vergessen

"Wir haben Studenten der Wirtschaftswissenschaften die Aufgaben zu ökonomischen Grundlagen aus dem ersten Semester nach dem dritten und fünften Semester noch einmal vorgelegt. Nach einem Jahr hatten sie den Stoff größtenteils vergessen, die Ergebnisse ein Jahr später sind noch schlechter", sagen Olga Troitschanskaia und Hans Anand Pant. Die deutschen Bildungsforscher sagen, dass an Hochschulen häufig falsch gelehrt und gelernt werde. Im Forschungsprojekt "KoKoHs" untersuchten sie gemeinsam mit Kollegen über 50.000 Studierende an über 220 Universitäten und Hochschulen in Deutschland und Österreich. Ergänzend analysierten sie Curricula und Lehrmaterial, befragten Experten und Arbeitgeber. So konnten sie nicht nur feststellen, welche Kompetenzen Jungen im Studium vermittelt werden, sondern auch, ob diese zu den Erwartungen der Unternehmen passen.

Gelerntes wird nicht eingesetzt

Was sich wenig überraschend zeigte: Die Theorie wird zu selten mit der Praxis verknüpft. "Oft wird 'träges' Wissen erworben, das nach der Prüfung schnell vergessen wird", sagen Troitschanskaia und Pant zum STANDARD. Das Dramatische ist jedoch, dass es vielen Absolventen offenbar auch an der Fähigkeit mangelt, Gelerntes im Berufsalltag einzusetzen. Eine Ursache dafür verorten die Wissenschafter in den Prüfungsmethoden. Usus sei nämlich, dass Professoren die Lehre an der Prüfung ausrichten. Dafür werden Multiple-Choice-Tests eingesetzt oder Wissensfragen zum Vorlesungsskript gestellt. "Aufgaben basieren häufig auf Lehrbuchwissen", sagen Troitschanskaia und Pant. Deshalb pauken Studierende Fakten, lernen vor allem das Auswendiglernen. In der Arbeitswelt kommt es aber auf weit mehr an: nämlich auf kritisches Denken, darauf, Zusammenhänge zu erkennen. Und selbst wenn Studierende dazu fähig wären, könnten es ihnen herkömmliche Prüfungsverfahren nicht nachweisen, sagen die Wissenschafter. Noten sagen also wenig über tatsächliche Kompetenzen aus.

Assessment-Center statt Abschlusszeugnis

Nicht zuletzt deshalb verlassen sich Unternehmen auch immer seltener auf Abschlusszeugnisse – sondern schicken ihre Bewerber durch Assessment-Center. Dort müssen sie Fallstudien lösen, die neben Fachwissen auch die Fähigkeit testen, komplexe Probleme zu lösen. Hier könnten Hochschulen von Unternehmen lernen, sagen Troitschanskaia und Pant. Sie empfehlen "Kompetenztests, die sich auch an Berufsfeldern orientieren", realitätsnah gestaltet sind. Studierenden wird zum Beispiel ein Problem aus der Praxis vorgelegt, das sie lösen sollen. Derlei Testungen würden einerseits viel besser zeigen, was jemand wirklich kann. Zum anderen könnten sie dazu beitragen, dass anders gelehrt und gelernt wird. "Es gilt das Prinzip: Eine gute Testaufgabe ist eine gute Lehr-Lernaufgabe", sagen die Bildungsexperten.

Wie es besser gehen könnte

Sie plädieren dafür, die Lehrmethoden an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Vorlesungen müssen beispielsweise stärker durch Lernreisen oder Praktika ergänzt werden. "Die Theorien, die man an der Universität behandelt, bekommen so einen Check in der Realität." Potenzial erkennen Troitschanskaia und Pant auch in digitalen Tools – Quiz, Lernspielen oder Simulationen. So könnten Pädagogik-Studierende Computern Fragen zu Didaktiktheorien beantworten, angehende Mediziner Operationen an virtuellen Patienten üben. Und BWLer könnten in digitalen Szenarien Business-Cases lösen. Dieses sogenannte Game-based Learning erhöht nachweislich die Motivation. Es bietet unmittelbar Feedback, was ebenfalls beim Lernen hilft.

Algorithmen, so die Vision der Bildungsforscher, könnten schließlich auch bei der Bewertung helfen. "Studien zeigen, dass englischsprachige Essays genauso zuverlässig von Computern bewertet werden können wie von Menschen." (Lisa Breit, 6.7.2016)