Der slowakische Premierminister Robert Fico möchte die EU näher an die Bürger bringen.

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Die Europäische Union müsse ihre Migrations- und Asylpolitik in den kommenden Monaten "völlig neu definieren". Die von der EU-Kommission im Mai vorgelegten Pläne zur Reform des sogenannten Dublin-Systems, welches die Zuständigkeiten der Staaten bei der Verteilung von Asylwerbern regelt, seien "total irrational" gewesen. Wenn die Union bei der Lösung der Flüchtlingskrise Erfolg haben wolle, dann müssten "konstruktive und realistische Lösungen" im Einverständnis von Mitgliedsstaaten und EU-Zentralbehörde gefunden werden. Mit diesem offensiven Programm wartete der slowakische Ministerpräsident Robert Fico am Donnerstag zum Auftakt der halbjährigen EU-Präsidentschaft seines Landes auf.

Wie berichtet, sieht die Kommission die EU-weite Harmonisierung der Asylverfahren und der Bedingungen vor, unter denen die Staaten Flüchtlinge beherbergen. So soll es ein Quotensystem zur fairen Lastenverteilung geben, wobei Staaten, die diese nicht erfüllen, pro Asylwerber bis zu 250.000 Euro in die gemeinsame Kasse einzahlen müssten. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass "die große Mehrheit der EU-Bürger mit der bisherigen Migrationspolitik nicht einverstanden ist", erklärte der Premier. Als Ratsvorsitzender will er dafür werben, dass es "flexible Zugänge" der Staaten geben könne. Er verwies explizit auf das bilaterale Abkommen mit Österreich, das die Unterbringung von 1.200 Asylwerbern in Gabčíkovo vorsieht, bezahlt von der österreichischen Regierung.

Im Rahmen der EU-Projekte zur Bewältigung der Migrationskrise möchte der EU-Vorsitz die beabsichtigte Verstärkung der Überwachung der EU-Außengrenzen durch Verstärkung der gemeinsamen Küstenwache bis Dezember wie geplant umgesetzt sehen. Umgekehrt müsste die im Mai auf sechs Monate verlängerte Möglichkeit zur provisorischen Grenzkontrolle in fünf Staaten, darunter Österreich und Deutschland, wieder beendet werden.

Brexit: Abwarten in Bratislava

Der Vorstoß der Slowaken im EU-Chefsessel ist eine Herausforderung für die Kommission, die nach wie vor auf ihr System der Quoten setzt, auch bei der Umsiedlung von 160.000 Flüchtlingen in Italien und Griechenland in andere EU-Staaten. Nach Ficos Vorstellung sei dies nicht umsetzbar. Es müsse dazu "eine viel breitere Debatte geben".

Neben der Migration sieht die Präsidentschaft drei weitere Prioritäten vor: die Ankurbelung der Wirtschaft und die Schaffung von Jobs; die volle Nutzung der Möglichkeiten des Binnenmarktes auf den Gebieten Energie und digitale Agenda; und schließlich die Stärkung der Rolle der EU auf der globalen Bühne, sprich: Außenwirtschaft und Sicherheitspolitik.

Was den von Großbritannien angekündigten EU-Austritt betrifft, setzt Bratislava auf Abwarten. Solange der Antrag der Briten auf Austritt nicht in Brüssel eintrifft, wird es keine Verhandlungen geben, so hat das der EU-Gipfel festgelegt. Fico plant für den EU-Sondergipfel der EU-27 im September, bei dem er Gastgeber sein wird, den Start einer Debatte über "die weitere Perspektive der Union". Das Wichtigste werde sein, sich zu überlegen, wie man die EU-Politik näher an die Bürger bringt und sie besser vermittelt.

Ob es in den sechs Monaten des EU-Vorsitzes zur Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland kommen wird, wollten weder Fico noch Außenminister Miroslav Lajčák beantworten. Beide ließen aber durchblicken, dass die slowakische Regierung dieses Ziel begünstigen wolle. "Es hat keinen Sinn, die Sanktionen einfach nur alle sechs Monate zu verlängern", erklärte Lajčák, die EU müsse "Realitäten zu Kenntnis nehmen". Es gebe mehrere vitale Probleme, die die Europäer nur mit Russland lösen könnten. Es wäre daher sinnvoll, mit Moskau "eine neue Partnerschaft aufzubauen". (Thomas Mayer aus Bratislava, 1.7.2016)