Wo Sprache auf Sprache trifft, entstehen zugleich Nähe und Distanz. Die Literaturwissenschaft beschäftigt sich in den letzten Jahren verstärkt mit der sogenannten Migrationsliteratur – und blickt hinter den Terminus.

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Wien – Wie gut sprechen Kinder von Migranten Deutsch? Diese Frage stellt man sich in österreichischen Schulen schon seit längerer Zeit, eine strukturierte Sprachstandanalyse gibt es jetzt immerhin per Erlass des Bildungsministeriums. Die Germanistin Inci Dirim von der Universität Wien hat mit ihrer Kollegin Lisanne Fröhlich und der Erziehungswissenschafterin Marion Döll zu diesem Zweck einen Beobachtungsbogen entwickelt, den Lehrer und Lehrerinnen in österreichischen Schulen seither verwenden können, aber noch nicht müssen. Im deutschen Bundesland Sachsen gibt es einen ähnlichen Bogen, dort ist er allerdings für alle Schulen verpflichtend.

Dirim sagt: "In Österreich liegt die Verantwortung, die Deutschkenntnisse der Kinder zu sichern, bei den Eltern." Bloß seien die dazu meist nicht in der Lage, ergänzt die Expertin. Viele Kinder bräuchten Förderkurse, diese würden vom Bildungsministerium aber nur in einem begrenzten Ausmaß bezahlt werden.

Die Wissenschafterin, in Gladbeck in Deutschland geboren und selbst in Ankara zweisprachig aufgewachsen, ist seit 2010 Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Uni Wien. Die häufig vertretene Meinung, Migrantenkinder müssten zuerst einmal ihre Muttersprache und erst danach Deutsch erlernen, sieht sie kritisch. "Diese Kinder wachsen mit zum Teil drei Sprachen auf, die ich lieber Sozialisationssprachen nennen möchte." Beispiel: Türkisch, Kurdisch, was hauptsächlich zu Hause gesprochen wird. "Deutsch hören sie mindestens im Fernsehprogramm und gebrauchen es in der Schule".

Dadurch entstehe eine Parallelität, der man durch Sprachsensibilität auch in anderen Fächern als Deutsch begegnen könne. Dirim: "Die Mehrsprachigkeit muss da als Vorteil, nicht als Nachteil im Unterricht Beachtung finden." Eine Regel, die so bei Quereinsteigern in die deutsche Sprache, also Kindern von Flüchtlingen, nicht als einzige Maßnahme angewandt werden könne. Sie brauchen vorab spezielle Förderkurse.

Begegnung mit dem Dialekt

In einem aktuellen Forschungsprojekt untersucht Dirim mit ihrem Team, wie Kinder von Migranten auf Dialekte reagieren und wie sie diese Sprachvariationen in ihren Wortschatz aufnehmen. Wer erklärt ihnen, was diese Worte auf Hochdeutsch bedeuten? Dirim nennt Beispiele: "Man muss ihnen schon sagen, dass 'Müch' nichts anderes als 'Milch' bedeutet und wie häufig statt 'eine' hierzulande 'a' verwendet wird." Dirim wünscht sich also eine gezieltere Auseinandersetzung mit dem Dialekt als bisher, wo Sprachvariationen bestenfalls am Schulhof und unter Freunden thematisiert wurden.

Am Ende des Projekts sollten Leitlinien stehen, wie sie in der Schweiz oder in Südtirol schon üblich sind. Damit der Dialekt in der Migrantensprache nicht mehr ausschließlich für Parodien herhalten muss. (Peter Illetschko, 3. 7. 2016)