Nicht nur die Briten haben gegen die EU gestimmt: Auch das Referendum in den Niederlanden über den EU-Assoziierungsvertrag mit der Ukraine im vergangenen April war als Ohrfeige für Brüssel gedacht. Lange wusste die Politik nicht, wie sie mit dem Votum umgehen sollte. Ignorieren oder neu verhandeln? Nun erklärte der niederländische Premier Mark Rutte, ohne Zusatzgarantien könne sein Land den Vertrag nicht ratifizieren.
Es sei eine "juristisch verbindliche Entscheidung" nötig, um sicherzustellen, dass die Interessen der Niederländer bei einer Assoziierung gewahrt blieben, sagte er. "Wir müssen Antworten auf die Sorgen der Menschen finden. Gelingt uns das nicht, dann können wir nicht ratifizieren", so Rutte.
Seine Aussage dürfte auch eine Reaktion auf das Brexit-Referendum sein, das die Unzufriedenheit der Briten mit der EU demonstrierte. Offenbar will Rutte nicht durch die Missachtung des juristisch nicht verbindlichen Referendums die Vertrauenskrise innerhalb der EU weiter anheizen.
Der Premier ließ dabei sowohl offen, welche Interessen genau gemeint sind, als auch wie diese festzuschreiben seien. "In welcher konkreten Form, weiß ich noch nicht. Es könnte sein, dass wir den Text ändern müssen, es könnte sein, dass wir eine Lösung finden, ohne den Text des Assoziierungsabkommens zu ändern", sagte Rutte.
EU-Ratspräsident Donald Tusk versicherte seinerseits, dass die EU alles tun werde, um eine juristische Lösung zu finden, die es Rutte erlaube, den Vertrag zu ratifizieren. Das Problem dabei: Das Assoziierungsabkommen selbst birgt für die Niederländer eigentlich keine Gefahr. Potenzial für den Export bietet allenfalls die ukrainische Landwirtschaft, aber genau in diesem Sektor hat die EU – trotz Freihandelsabkommens – strenge Quoten eingebaut.
Kiew hofft auf Visafreiheit
Beim Votum spielte bei vielen Wählern eher die Angst mit, dass damit der Beitritt der Ukraine vorbereitet werden solle – und damit weitere 45 Millionen eher arme Menschen Anspruch auf die EU-Fördertöpfe erheben, auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel zuletzt erneut betonte, dass eine Mitgliedschaft der Ukraine in absehbarer Zukunft "nicht auf der Tagesordnung" stehe.
Für die ukrainische Führung ist ohnehin die Frage nach der Abschaffung der Visapflicht aktueller. Präsident Petro Poroschenko wiederholte seine Forderung nach einer schnellen Regelung: "Es gibt objektive Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Brexit, aber sie können uns höchstens für ein paar Tage oder Wochen aufhalten", meinte er. Die Ukraine habe ihre Hausaufgaben erledigt.
In Kiew steht die politische Führung dieser Tage mindestens ebenso unter Druck wie in Den Haag oder Brüssel. Sie muss den Ukrainern für das Assoziierungsabkommen, das politisch den russisch-ukrainischen Konflikt mit ausgelöst hat und wirtschaftlich durch die Öffnung des Markts für europäische Waren einheimische Produzenten schwer unter Druck setzt, zumindest in anderen Bereichen Vorteile aufzeigen können. Jede Verzögerung bei der Visafreiheit erhöht den Grad der Unzufriedenheit in Kiew. (André Ballin aus Moskau, 30.6.2016)