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Gibraltar möchte gerne in der EU bleiben. Wie das nach dem Entscheid der Briten, die EU zu verlassen gehen soll, ist ungewiss.

Foto: REUTERS/Jon Nazca

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In der Brexit-Frage gespalten sind dieser Tage nicht nur England, Schottland und Nordirland – auch im britischen Überseegebiet Gibraltar herrscht Unmut.

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STANDARD: Wie sieht man in Gibraltar den nahen Brexit?

García: Die Bewohner Gibraltars sind traditionell der Union gegenüber freundlich gesinnt. Regierung, Parlament, alle politischen Parteien, Wirtschafts- und Handelskammern, Gewerkschaften, sie alle unterstützten die Kampagne für eine Beibehaltung der EU-Mitgliedschaft. Wir stehen geschlossen für den Verbleib bei der Europäischen Union.

STANDARD: Warum?

García: Unser ökonomisches Modell hängt stark am europäischen Markt. Der Zugang zu diesem Wirtschaftsraum ist für uns essenziell. Wir bekommen auch Mittel der Europäischen Union, etwa Sozial- und Regionalförderungen. Und von knapp zehn Millionen Touristen jährlich stammt der überwiegende Teil aus der Europäischen Union. Sie betreten Gibraltar auf dem Landweg, über die Grenze zu Spanien.

STANDARD: Spanien erhebt nach wie vor Anspruch auf Gibraltar ...

García: Wir haben hier eine weitere politische Dimension: einen Nachbarn, der uns mit der rechtskonservativen Regierung des Partido Popular (PP, Anm.) feindlich gegenübersteht. Manchmal sogar aggressiv. Der Diskurs Madrids schürt hier Ängste. Die EU ist für uns eine Art Rettungsweste gegen alle "Avancen" aus Spanien.

STANDARD: Spaniens Außenminister José Manuel García Margallo (PP) drohte unlängst, die Grenze vollständig zu schließen ...

García: In Madrid scheint man in einer anderen, lange vergangenen Ära festzustecken. Statt auf Kooperation zu setzen, stehen die Zeichen auf Konfrontation. Drohungen werden oft umgesetzt. Als 2014 im Sommer penible Grenzkontrollen unter dem Vorwand des Tabakschmuggels eingeführt wurden, gab es mehrere Stunden lange Staus – von denen ironischerweise mehrheitlich Spanier betroffen waren. Mehr als 10.000 Spanier pendeln nach Gibraltar. Damals hat Madrid das EU-Prinzip des freien Personenverkehrs mit Füßen getreten. Man hat jeden Pass kontrolliert – was schließlich zum Einschreiten der EU-Kommission führte.

STANDARD: Wie sieht Ihr Brexit-Plan aus?

García: Wir haben keinen. Selbst London hatte keine Strategie parat. Ebenso wenig Brüssel. Anders als Madrid, wo man erneut auf geteilte Souveränität pocht zwischen Spanien und England. Das wurde bereits 2002 in einer Volksbefragung abgelehnt. Wir lehnen das auch weiterhin ab und lassen uns nicht erpressen – mit dem Ziel eines neuerlichen Referendums in Gibraltar über den Verbleib in der EU. Es gibt Pläne des spanischen Außenministeriums, die Grenze zu Gibraltar völlig dichtzumachen.

STANDARD: Gibraltar liegt an einem Hotspot der Migration. War das ein Thema für die Bewohner?

García: Immigration ist hier kein Grund zur Sorge. Sie betrifft uns nicht in der Art und Weise, wie wir sie in anderen Regionen des Mittelmeerraums sehen. Gibraltar ist ein sehr kleines Territorium mit einer kurzen Küstenlinie. Wir kooperieren punktuell mit der spanischen Küstenwache, wenn es darum geht, in Seenot geratene Flüchtlingsboote zu retten. Kein Immigrant will in Gibraltar landen. Es gibt keine Chance auf ein Weiterkommen in die EU.

STANDARD: Was denken Sie über das Austrittsszenario Englands?

García: Selbst wenn Artikel 50 des Lissabonner Abkommens die Möglichkeit eines Austritts aus der EU einräumt, ist es ein Sprung ins Ungewisse. Ich habe keine Ahnung, wie dieses Szenario vonstattengehen soll. Wir hier in Gibraltar sind in noch weit schlechterer Position als England. Wir werden in den Verhandlungen um den Austritt nun von der Gnade Madrids abhängig sein.

STANDARD: Steht nun für Gibraltar eine Unabhängigkeit ähnlich der Schottlands zur Debatte?

García: Wir sind der britischen Krone und dem Mutterland treu und nahe. Über Entkolonialisierung und mehr Selbstbestimmung wird im Rahmen der Uno diskutiert. Wir sind Briten. Doch unsere Zukunft, die liegt in der EU.

STANDARD: Die Spanien-Wahlen am Sonntag haben Ihre Situation nicht verbessert ...

García: Nein. Als noch die Sozialisten (PSOE, Anm.) unter José Luis Rodríguez Zapatero an der Macht waren, war auch der Dialog weit besser. Es gab ein Drei-Nationen-Forum, England, Gibraltar und Spanien, in dem man offen und wohlwollend wichtige Themen diskutierte. Spannungen wurden rasch beigelegt – konträr, verglichen mit dem PP unter Rajoy, der eine aggressive Politik der Konfrontation verfolgt.

STANDARD: Wie ist die Stimmung im Finanzsektor Gibraltars?

García: Man darf nicht vergessen, dass für uns früher viele Jahre lang die Militärbasis der wichtigste Wirtschaftsfaktor war, der nun keine fünf Prozent mehr stellt. Sie sehen: Wir schaffen es, Hindernisse zu überwinden. Wir brauchen aber den gemeinschaftlichen Markt. (Jan Marot, 30.6.2016)