Unter den Experten gilt es als ausgemacht, dass der EU-Austritt die Briten Wachstum kosten wird.

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Wien – Auf dem falschen Fuß erwischt wurden die Finanzmärkte von der Brexit-Entscheidung Großbritanniens, wie die heftige Talfahrt der Börsen eindrucksvoll belegte. Nachdem die ersten Schockwellen um die Finanzmärkte gelaufen sind, ist gewissermaßen die Ruhe nach dem Sturm eingetreten. Damit ist das Thema Brexit für Anleger aber keineswegs vom Tisch, denn die mittel- und langfristigen Auswirkungen müssen noch eingepreist werden, soweit sich diese überhaupt schon abschätzen lassen.

Besonders stark gelitten unter dem Brexit-Schock hat das britische Pfund – eine Entwicklung, die durchaus noch anhalten könnte, denn: "Währungstrends sind eher langanhaltend", meint Monika Rosen, Chefanalystin des Private Banking der Bank Austria, was aber nicht heißen soll, dass Investoren den Briten überstürzt den Rücken kehren werden. "Eine Kapitalflucht von der Insel sehe ich nicht", erklärt Rosen, "es ist eher eine Flucht in bzw. aus bestimmten Anlageklassen. Riskantere Assets leiden und sichere werden gesucht."

Phase der Unsicherheit

Ungewiss ist jedoch, wie lange diese Phase der Unsicherheit und Risikoaversion anhalten wird. Obwohl es länger als zwei Jahre bis zu einer Einigung der Briten und der EU über die Austrittsmodalitäten dauern kann, sollten die Märkte dieses Thema bereits im Lauf der Verhandlungen abhaken. "Der Markt braucht keine zwei Jahre, bis er zu einer Conclusio kommt, wie das künftige Verhältnis Großbritanniens zur EU ausgestaltet sein wird", meint Rosen, die längerfristig Aktien den Vorzug gegenüber sicheren Staatsanleihen gibt, da sie deren Potenzial für ausgereizt hält.

Als ausgemacht gilt unter Experten, dass der EU-Austritt die Briten Wachstum kosten wird. "Aus makroökonomischer Sicht erwarten wir, dass das Bruttoinlandsprodukt in Großbritannien in den nächsten zwölf bis 18 Monaten moderat sinken wird, um dann einen niedrigeren Wachstumskurs fortzusetzen", meint Mark Phelps von der Investmentgesellschaft AB. Anleger sollten ihren Fokus auf qualitativ hochwertige Wachstumswerte legen. "Wir gehen nicht davon aus, dass deren Wachstumsperspektiven von der Brexit-Abstimmung langfristig beschädigt werden." Jedoch rechnet Phelps bis auf weiteres mit erhöhter Schwankungsfreudigkeit.

Eine Einschätzung, die auch Stefan Kreuzkamp, Chief Investment Officer der Deutsche Asset Management, teilt. Die zu erwartenden Ausschläge nach unten will er als selektive Einstiegsgelegenheiten nutzen, denn: "Entscheidend ist, dass sich Regierungen und Notenbanken intensiv auf dieses Ereignis vorbereitet haben und alles tun werden, um unmittelbare Schocks abzufangen."

Mit der Brexit-Entscheidung dürften laut Markterwartungen nicht nur Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed vom Tisch sein, sondern es sogar mit rund zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit zu einer Absenkung kommen. Dies sollte generell die Aktienmärkte stützen – besonders jedoch in den Schwellenländern, da diese Staaten generell sehr sensibel auf eine straffere US-Zinspolitik reagieren. (Alexander Hahn, 1.7.2016)