Nach dem Ausbrechen existenzbedrohender Krisen zeigt sich in der Politik rasch, wer im ersten Schock zu Panik und unbedachten Äußerungen neigt; und wer gute Nerven hat, akuten Druck abbauen, für nötige Ruhe für ein vernünftiges weiteres Vorgehen sorgen kann.

Die Reaktionen auf das Ja der knappen Mehrheit der Briten bei der Volksbefragung über den EU-Austritt ist dafür ein Musterbeispiel. Kaum war das Endergebnis offiziell, überschlugen sich einige in der Forderung, Premier David Cameron müsse sofort den Austrittsantrag stellen. Ruck, zuck. Raus mit den lästigen unberechenbaren Briten!

Der Wählerwille müsse ohne jede Einschränkung beachtet werden. Man könne nicht "so lange abstimmen, bis manchen das Ergebnis passt", ätzten die Rechtspopulisten. Wo käme denn die Demokratie sonst hin?

Das ist nur auf den ersten Blick richtig. Die Demokratie im Vereinigten Königreich ist etwas komplexer. Das Referendum ist rechtlich nicht bindend. Politisch hat den Premier die Höchststrafe schon ereilt: Er muss gehen. Nun müssen nach den Regeln der britischen Demokratie das Unterhaus und eine neue Regierung entscheiden, wie es weitergeht. Sie können den Austritt beschließen, in Neuwahlen gehen oder das Volk befragen. Die Vernünftigen wie Angela Merkel haben erkannt: Die Europäer müssen warten. Es könnte sein, dass ein Fehler korrigiert wird. Wenn nicht, ist das eben der Lauf der Demokratie. (Thomas Mayer, 28.6.2016)