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Our Love for Great Britain: Diese Botschaft ist auch nach dem Brexit-Referendum aktuell.

Foto: AP/Carstensen

Liebe Briten,

seit eurem unglückseligen Brexit-Referendum habt ihr von europäischen Politikern und Kommentatoren die Botschaft erhalten, dass ihr das Votum eurer Wähler respektieren und möglichst rasch aus der EU austreten sollt. Das ist eine menschlich verständliche Reaktion auf die Zurückweisung durch eure Wähler, aber weder sehr nett noch besonders klug.

Die Botschaft Europas an euch sollte lauten: Liebe Briten, bitte bleibt in der EU. Euer Referendum war ein schwerer Fehler, an dem so verantwortungslose Politiker wie David Cameron, Boris Johnson und auch Labour-Chef Jeremy Corbyn sowie eure furchtbare Boulevardpresse Schuld tragen.

Aber viele Fehler lassen sich wiedergutmachen, und dieser gehört dazu. Ihr müsst nicht austreten, ihr könnt bleiben.

Ein One-Night-Stand ist keine Liebe

Die Abstimmung ist rechtlich nicht bindend, und Referenden dieser Art haben mit echter Demokratie so viel zu tun wie ein One-Night-Stand mit wahrer Liebe.

Gerade 36 Prozent des Wahlvolks haben an einem verregneten Tag für den Austritt gestimmt. Von denen wussten einige nicht, worum es ging, andere wollten nur Dampf ablassen, und eine weitere Gruppe bereut inzwischen ihre Entscheidung. Das muss und kann nicht das letzte Wort gewesen sein.

Wozu habt ihr ein Parlament?

Ihr habt ein Parlament mit direkt gewählten, demokratisch legitimierten und zumeist sehr kompetenten Abgeordneten, von denen die große Mehrheit den Brexit ablehnt. Sie sind sogar dazu verpflichtet, im Interesse der Nation zu handeln und nicht durch Festhalten an einer Fehlentscheidung eine Wirtschaftskrise und den Zerfall des Königreichs zu riskieren. Wozu wären sie denn sonst gewählt worden?

Und euer Austritt wäre eine Katastrophe für die restliche EU. Wer glaubt, ohne euch würde alles leichter werden, irrt gewaltig. Gewiss: Ihr seid ziemlich lästige Partner und habt euch in den nächtlichen Gipfeltreffen, die sich durch eure Starrköpfigkeit um viele Stunden verlängert habt, wenige Freunde gemacht. Aber schwierig sind andere Länder auch.

EU-Krisen sind nicht eure Schuld

Ihr habt euch gegen manches Nützliche quergelegt, aber die EU auch von manchen Unsinnigkeiten abgehalten. Vor allem aber wurde keine einzige wirklich wichtige Entscheidung durch euch verhindert, ihr habt euch bloß selbst herausgehalten. Das macht euch nicht jedem sympathisch, aber angesichts der Probleme der Eurozone und des Schengen-Systems erscheinen eure Entscheidungen nicht mehr gar so unvernünftig wie einst. Und keine einzige der großen EU-Krisen von heute wurde durch britische Politik verursacht.

So sehr man euch Arroganz und Besserwisserei vorwerfen kann: Britische Weltoffenheit und das in Oxford und Cambridge gelehrte und gelernte strukturierte Denken haben zahlreiche europäische Diskussionen befruchtet.

EU-Gegnern Wind aus den Segeln nehmen

Der Brexit könnte eine Welle weiterer Referenden auslösen. Eine Abkehr vom Brexit aber würde allen EU-Gegner auf dem Kontinent den Wind aus dem Segel nehmen. Mit einer Phase der Unsicherheit kann die EU viel besser leben als mit einer übereilten Fehlentscheidung.

Deshalb nehmt euch bitte Zeit und drückt nicht den Artikel-50-Knopf. Ein neuer Premier kann im Herbst wortgewandt erklären, warum er es eigentlich ganz anders gemeint hat und nun innerhalb der EU seine Ziele verwirklichen will. Das wird manche im Land wütend machen, aber das gehört zur Politik dazu. Der andere Weg, der echte Brexit, würde viel mehr Leid und Unfrieden verursachen.

Aber keine Extrawürste

Nur mit einem könnt ihr nicht rechnen: dass ihr im Gegenzug für den Verbleib weitere Zugeständnisse erhält. Der Deal, den David Cameron ausgehandelt hat, sollte bleiben, aber sonst kann es keine weiteren Extrawürste geben.

Wenn euch die Freizügigkeit im Binnenmarkt nicht passt, dann könnt ihr euch in den kommenden Reformdiskussionen in der EU einbringen. Aber die Chance auf ein weiteres großes Pokerspiel habt ihr euch durch das strohdumme Referendum selbst genommen. (Eric Frey, 30.6.2016)