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Erdogan und Davutoglu drehten am Weltenrad, dass den Türken schwindlig wurde angesichts der neuen alten Größe ihres Landes.

Foto: AP/Murat Cetinmuhurdar

Ankara/Athen – Wladimir Putin spricht wieder mit ihm. Schlag zwölf Uhr mittags wird der russische Präsident am Mittwoch bei Tayyip Erdoğan anrufen, wurde am Dienstag in Ankara freudig verbreitet. Putin will sich erkenntlich zeigen, heißt es. Wie viel Überwindung den türkischen Präsidenten die Entschuldigung für den Abschuss eines russischen Kampfjets vor sieben Monaten gekostet hat, mag der ähnlich starrköpfige Putin nachempfinden.

Dass sie die Türken noch ein wenig zappeln lassen, machte der Kreml gleichwohl klar. Eine schnelle Normalisierung im Kielwasser des türkisch-israelischen Ausgleichs von Beginn der Woche soll es nicht geben.

Vor ein paar Jahren noch waren sie ganz groß im Geschäft. Oder so glaubten es zumindest Tayyip Erdoğan und sein langjähriger Außenminister Ahmet Davutoğlu, der ihm später im Amt des Regierungschefs nachfolgte. "Ich grüße Sarajevo, Baku, Kairo, Mekka und Medina" – so oder abgewandelt lauteten die Formeln, mit denen die beiden zu Hause ihre Reden auf Parteitagen und in der Provinz eröffneten und dabei in neo-osmanischen Träumen schwelgten. Erdoğan und Davutoğlu drehten am Weltenrad, dass den Türken schwindlig wurde angesichts der neuen alten Größe ihres Landes.

Davutoğlu, der Politikprofessor, wollte eine aktivere Rolle für die Türkei als jene in dem gern bemühten Bild der "Brücke" zwischen Orient und Okzident, über die dann andere gehen. So wurde zunächst die Idee von der Politik der "null Probleme" mit den Nachbarn geboren. Diese Politik der ausgestreckten Hand reichte Ankara dann nicht mehr, als 2011 der Arabische Frühling begann. Nun sollte die Türkei gleich Modell und panislamische Führerin für die neuen Demokratien sein, die ihre Autokraten abgeschüttelt hatten.

Geworden ist daraus nichts. Bis vor wenigen Tagen hat es sich Erdoğans Türkei mit so ziemlich allen in der Region verscherzt. Vor allem die russischen Wirtschaftssanktionen treffen die Türkei empfindlich. Jetzt wird mit Hochdruck an der außenpolitischen Wende gearbeitet.

Sündenbock Davutoğlu

Davutoğlus Ablösung als Premier im vergangenen Mai dient als Vorwand für die Kurskorrektur. Ihm werden Fehler vor allem in der Syrien-Politik in die Schuhe geschoben, so stellen türkische Kommentatoren fest. Erdoğan lässt nun seinen getreuen Regierungschef Binali Yıldırım auftreten, der den Türken die Normalisierung mit Israel nach sechs Jahren Auszeit als diplomatischen Sieg verkauft und schon die nächste Ouvertüre mit Ägypten ankündigt. "Kontakte auf Ministerebene können beginnen", erklärte Yıldırım, "Geschäftsleute können kommen und gehen."

Noch bis vor kurzem nannte Erdogan den ägyptischen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi einen "Putschgeneral". Erdoğan hielt hartnäckig an Mohamed Morsi fest, den Muslimbruder und gestürzten Staatschef.

"Israel kniet"

Ganz so einfach gestaltet sich der Ausbruch aus der außenpolitischen Isolation allerdings nicht. "Israel kniet", feierte das national-islamistische Boulevardblatt Günes am Dienstag die Normalisierung. "Er hat kapituliert", schrieb dagegen Sözcü, eines der letzten regierungskritischen Blätter, in großen Lettern über Erdoğan: bei Putin entschuldigt, obwohl er schwor, es nie zu tun; und Israels Seeblockade des Gazastreifens doch akzeptiert, weil Benjamin Netanjahu, der israelische Regierungschef, in diesem Punkt nicht nachgab. Die Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroğlu von der sozialdemokratischen CHP und Devlet Bahçeli von der rechtsgerichteten MHP äußerten sich in ihren wöchentlichen Reden vor der Parlamentsfraktion am Dienstag entsprechend spöttisch über Erdoğan.

Der hatte sich vor Bekanntgabe der Dienstag unterschriebenen Einigung noch schnell mit dem Politbürochef der Hamas, Khalit Meshaal, getroffen. Erdoğan glaubt, Einfluss über die Palästinenser zu haben. Es könnte die nächste Fehlkalkulation sein. (Markus Bernath, 29.6.2016)