Was treibt Menschen in die Arme der Rechtsparteien? Diffuse, von rechts forcierte Ängste vor Asylwerbern wie hier bei einer Demonstration gegen Massenquartiere in Wien können eine Ursache sein.

Foto: APA/Fohringer

Wien – Das Leben hat es nicht immer gut mit dem 52-jährigen Bäckermeister gemeint. Sein eigenes Geschäft musste er vor einigen Jahren schließen. Zu viele Kunden wichen auf das Billigbrot im Supermarkt aus. Jetzt arbeitet der Bäckermeister als Angestellter in einer Großbäckerei. Die Bezahlung ist nicht berauschend, die Fahrt zur Arbeit kostet ihn jeden Tag fast eine Stunde. Abgesehen davon munkelt man im Haus über eine mögliche Abwanderung der Firma. Wie lange sind die Arbeitsplätze noch sicher?

Der Bäckermeister könnte im Weinviertel leben oder in Lothringen, im niederländischen Zeeland oder im Erzgebirge. Er selbst ist eine Fantasiefigur, aber seine Sorgen sind in Europa weitverbreitet. Nicht wenige Betroffene reagieren mit einer politischen Hinwendung zu rechtspopulistischen Parteien. Die FPÖ, der französische Front National, die niederländische Partij voor de Vrijheid oder die Alternative für Deutschland (AfD) bekommen immer mehr Stimmen. Ob der Bäcker diese Parteien auch wählt, hängt nicht nur von seinem Umfeld und seiner persönlichen Situation ab. Der Hang zum Rechtspopulismus scheint auch im Wesen eines Menschen begründet zu sein, sagen Wissenschafter.

"Persönlichkeit ist eine Variable, die die Politikwissenschaft vor zehn Jahren noch überhaupt nicht interessiert hat", erklärt die Sozialpsychologin Martina Zandonella vom Wiener Forschungsinstitut Sora. Das habe sich gleichwohl geändert. Fachleute suchen zunehmend nach Verbindungen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und politischen Einstellungen. Der Fokus liegt dabei auf den sogenannten "Big Five", den Kerneigenschaften des menschlichen Charakters: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Geselligkeit und emotionale Stabilität. Sie bilden das Gerüst einer individuellen Psyche.

Martina Zandonella und ihr Kollege Julian Aichholzer von der Universität Wien haben die mutmaßlichen Wechselwirkungen im österreichischen Kontext untersucht. Sie gingen dabei von einer bundesweiten AUTNES-Wählerbefragung im Jahr 2013 aus. Dabei wurden nicht nur die Parteipräferenzen und der Bildungsgrad der Teilnehmer erfasst, sondern auch Fragen zur gesellschaftspolitischen Orientierung – autoritär oder egalitär, konservativ oder progressiv – und der Einstellung gegenüber Migranten gestellt. Eine standardisierte Fragenliste zur Ermittlung der Big Five rundete die Erhebung ab. Der Wissenschaftsfonds FWF hat das Projekt finanziert.

Die Auswertungen von Zandonella und Aichholzer zeigen mehrere wichtige Korrelationen auf. Zum einen neigen vor allem diejenigen, die Einwanderer als Bedrohung empfinden, dazu, die FPÖ zu wählen. Nicht wirklich überraschend.

Interessanter wird es beim Betrachten der möglichen Hintergründe. Hier fielen zwei andere Einstellungen auf: der Hang zu rechts-autoritärem Denken und zu Sozialdominanz, also zur Befürwortung gesellschaftlicher Ungleichheit. Beide Richtungen führen offenbar zu einer verstärkten Ablehnung von Migranten, sei es direkt oder indirekt.

Liebäugeln mit der Autorität

Auf der Ebene der Big Five kommen weitere Zusammenhänge ans Licht. Anscheinend erhöhen mangelnde Offenheit, geringe Verträglichkeit und eine niedrige emotionale Stabilität die Anfälligkeit eines Menschen für rechtsautoritäre Positionen. Etwas vereinfacht lässt sich nun eine Art Kausalkette konstruieren. Es sind vor allem die Ängstlichen, die mit dem Autoritären liebäugeln, Einwanderer als Bedrohung empfinden und der FPÖ ihre Stimme geben. Ähnliches, wenn auch nicht ganz so deutlich, gilt für die sozialdominante Einstellung. Ein detaillierter Studienbericht wurde heuer im Fachmagazin Personality and Individual Differences (Bd. 96, S. 185) veröffentlicht.

Autoritätsgläubige Personen sind grundsätzlich sensibler für Unsicherheit, sagt Martina Zandonella. "Eine gute Möglichkeit, diese zu reduzieren, ist die Identifikation mit einer Gruppe." Was besonders gut in klar strukturierten, relativ homogenen Verbänden mit einer niedrigen Eintrittsschwelle funktioniert – das Profil der rechtsnationalen Anhängerschaft. Besondere Qualifikationen sind nicht gefragt. "Das Einzige, was zählt, ist die Herkunft", sagt Zandonella. Die FPÖ sei in Österreich allerdings längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. "Daran erkennt man, wie weit die Unsicherheit bereits um sich gegriffen hat."

Zandonella warnt vor Pauschalisierung. "Persönlichkeit ist nichts völlig Festgeschriebenes", betont die Sozialpsychologin. Man kann sich ändern, je nach Umständen, in die eine oder andere Richtung. Emotional instabile Personen mögen ängstlicher sein, aber Angst macht auch die Gefestigten instabiler. Ein gesellschaftspolitisch gefährlicher, sich selbst verstärkender Effekt. Kein Wunder also, dass die FPÖ vor allem in Regionen und Bezirken mit schlechten wirtschaftlichen Perspektiven punktet.

Erziehung und Sozialisation spielen ebenfalls entscheidende Rollen. Autoritär denkende Menschen kommen nicht selten aus einem Umfeld, in dem die Welt als bedrohlich empfunden wird, berichtet Zandonella. Die Angst vor dem Fremden lässt sich bestens instrumentalisieren und verleitet mitunter zu völlig irrationalen Entscheidungen.

In der Brexit-Debatte brachten die Befürworter von Großbritanniens EU-Austritt das Thema Migration vor. Man versprach weniger Zuwanderung und konnte damit sogar die Warnungen von Wirtschaftsexperten ausstechen. Nun befindet sich das Königreich auf dem Weg in eine extrem unsichere Zukunft.

Wenn allerdings die Anfälligkeit für Rechtspopulismus zumindest teilweise in Charaktereigenschaften begründet liegt, ist Fremdenhass dann auch ein unausrottbarer Bestandteil der menschlichen Natur? "Nein", sagt Zandonella. Die FPÖ und ähnliche Parteien nutzen die Unsicherheiten in der Bevölkerung für ihre eigenen Zwecke aus. Sie bieten einfache Scheinlösungen für komplexe Probleme und gehen so auf Stimmenfang. Die rechte Diskurshoheit hat es geschafft, sämtliche sozialen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten auf ein simples "Migranten gegen Inländer" zu reduzieren, meint die Forscherin. Sündenbock-Politik. Ein altbekanntes Gespenst in Europa. (Kurt de Swaaf, 29.6.2016)