Islands Elf liefert die Sensation gegen England.

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Nizza – Die Isländer sind "verrückt nach der Premier League". Um sich für das Achtelfinale gegen England die nötige Motivation zu holen, haben sie im Quartier in Annecy-Le-Vieux ein Motivationsplakat aufgehängt. Auf diesem jagt ein klitzekleiner Chihuahua ein tonnenschweres Nashorn. Es hängt übrigens schon seit Turnierbeginn an der Wand des Konferenzraums. "Das ist ein Symbol, wie weit dich großer Mut und große Einstellung bringen können", sagte Verteidiger Bjarnason. Österreich hat das beim 1:2 in der Gruppenphase zu spüren bekommen, allerdings sind Kollers Mannen auch nur ein kleines Hündchen gewesen. Trainer Heimir Halgrimsson, ein Zahnarzt, spekulierte mit der Sensation: "Wir wissen alles über unser großes Vorbild England, sie wissen aber nichts über uns."

Montagabend in Nizza. Es war der erste Auftritt der englischen Fußballnationalmannschaft nach dem Brexit. Ob zum Beispiel Wayne Rooney dafür oder dagegen war, konnte nicht geklärt werden, das fällt unter das Wahlgeheimnis. Island ist mit 330.000 Einwohnern das bevölkerungsmäßig kleinste Land, das je eine EURO beehrt hat. Andererseits ist es das einzige Land, das noch nie eine Partie bei der Endrunde verloren hat: zwei Remis, ein Sieg. Deutschland und Italien könnten vor Neid erblassen, allerdings sind die beiden keine Debütanten.

Islands Aron Gunnarsson feiert mit den Fans.
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England beschmutzte die weiße Weste früh. 4. Minute: Goalie Halldorsson foult den durchbrechenden Sterling, Kapitän Rooney verwandelt den Elfer staubtrocken zum 1:0. 6. Minute: Das Hündchen schlägt zurück. Die Engländer hätten das Video vom Österreich-Spiel studieren sollen. Weiter Outeinwurf, praktisch eine Flanke, Kopfballverlängerung, der aufgerückte Verteidiger Ragnar Sigurdsson erzielt aus kurzer Distanz das 1:1. England drängte, Island verteidigte und erzielte tatsächlich das 2:1. Sigthorsson vom FC Nantes zieht aus 15 Metern ab, Keeper Joe Hart patzt fürchterlich, es war sein persönlicher Brexit. 28. Minute: Spektakulärer Volley von Kane, Halldorsson reagiert prächtig, er ist genau das Gegenteil von Hart.

Planlose Engländer

Die Isländer kämpften, bissen, kratzten. Ihr Spiel wirkte trotzdem nie destruktiv, sie waren absolut gewillt, auch offensiv tätig zu werden, also schnell zu kontern. Die Engländer verkrampften, Teamchef Roy Hodgson reagierte, brachte zur zweiten Halbzeit Wilshere, Dier musste weichen. Islands Vorbilder hinterließen einen gehemmten, verunsicherten Eindruck, die Angst vor der Peinlichkeit und dem Versagen war offensichtlich. Das Hündchen hingegen wurde immer bissiger, jagte das fette Nashorn. 60. Minute: Sterling raus, Vardy von Meister Leicester City rein.

An der Planlosigkeit des Favoriten änderte sich nichts, keine Ballstafetten, kaum Druck, die Mauer hielt den müden Angriffen locker stand. Gegen Österreich war sie zumindest nach der Pause mehr gefordert, was aber völlig wurscht ist und nicht einmal für einen schwachen Trost reicht. Kapitän Gunnarsson vergab sogar die Cance aufs 3:1 (83.), die Engländer waren völlig von der Rolle, ergaben sich ihrem Schicksal, Vardy scheiterte in der Nachspielzeit.

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England am Boden.
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Und so wurde die Sensation perfekt. Der Fußball bietet eben besondere Geschichten. Die Engländer schämten sich, die famosen Isländer jubelten ausgiebig. Sie bleiben bei Endrunden als einziges Land ungeschlagen. Am Sonntag machen sie im Viertelfinale von Saint-Denis gegen Gastgeber Frankreich weiter. Die Franzosen sind das nächste fette Nashorn, die Isländer werden sich das Plakat anschauen.

Roy Hodgson hat für das peinliche Achtelfinal-Aus die Verantwortung übernommen und unmittelbar nach der Niederlage seinen Abschied als Trainer der Three Lions verkündet. Sein Vertrag wäre allerdings ohnehin ausgelaufen. (red, hac, 27.6.2016)

EM-Achtelfinale, Montag

England – Island 1:2 (1:2)
Nizza, Stade de Nice, 33.900 Zuschauer, SR Damir Skomina (SLO)

Tore:
1:0 (4.) Rooney (Foulelfmeter)
1:1 (6.) R. Sigurdsson
1:2 (18.) Sigthorsson

England: Hart – Walker, Cahill, Smalling, Rose – Alli, Dier (46. Wilshere), Rooney (86. Rashford) – Sturridge, Kane, Sterling (60. Vardy)

Island: Halldorsson – Saevarsson, Arnason, R. Sigurdsson, Skulason – Gudmundsson, G. Sigurdsson, Gunnarsson, B. Bjarnason – Sigthorsson (77. E. Bjarnason), Bödvarsson (89. Traustason)

Gelbe Karten: Sturridge bzw. G. Sigurdsson, Gunnarsson