Islands neu gewählter Präsident (Zweiter von rechts) feiert mit einem Wahlkämpfer seinen Sieg.

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Reykjavík/Graz – Der 48-jährige Geschichtsprofessor Guðni Th. Jóhannesson ist am Samstag zum neuen Präsidenten Islands gewählt worden. Der politisch unabhängige Kandidat hatte bereits seit Monaten als Favorit für das Amt gegolten. Der bisherige Präsident Ólafur Ragnar Grímsson hatte erst vor wenigen Wochen auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet.

Jóhannesson setzte sich mit 39,1 Prozent der Stimmen gegen die überraschend zweitplatzierte Finanzberaterin Halla Tómasdóttir (27,9 Prozent) und weitere sieben Kandidaten durch. Stichwahl ist keine notwendig, weil für die Wahl zum Staatsoberhaupt in Island die einfache Mehrheit genügt. Auf der Strecke blieb unter anderem auch der ehemalige isländische Regierungschef Davíð Oddsson von der konservativen Unabhängigkeitspartei, der mit 13,7 Prozent sogar noch hinter dem Schriftsteller Andri Snær Magnason (14,3 Prozent) landete und als bestplatzierter Kandidat einer etablierten Partei eine bittere Niederlage einstecken musste.

Wahlsieger zeigte sich überrascht

Nach der Auszählung der Stimmen am Sonntag sagte Jóhannesson, auch er sei über die Aufholjagd seiner Kontrahentin Tómasdóttir überrascht gewesen. Bis kurz vor der Wahl hatten die Umfragen einen Wert von zwischen 45 und 50 Prozent für Jóhannesson ergeben. Obwohl die Amtszeit des Präsidenten in Island nur vier Jahre beträgt, ist der Politneuling Jóhannesson erst das sechste Staatsoberhaupt seit der Unabhängigkeit von Dänemark im Jahr 1944.

Seine beiden Vorgänger Ólafur Ragnar Grímsson und Vigdís Finnbogadóttir hatten den Posten jeweils 20 beziehungsweise 16 Jahre lang inne. Ermöglicht wird das durch die fehlende Begrenzung der Anzahl der Amtsperioden in der Verfassung. Der Staatspräsident hat in Island vorwiegend repräsentative Aufgaben. Er kann aber unter anderem gegen Gesetzesentwürfe ein Veto einlegen und hat Einfluss auf die Regierungsbildung.

Parlamentswahlen im Herbst

Antreten soll Jóhannesson sein Amt am 1. August. Als erste große politische Aufgabe wartet auf ihn die für Herbst dieses Jahres angekündigte Neuwahl des Parlaments. Diese war notwendig geworden, weil Regierungschef Sigmundur Davíð Gunnlaugsson Anfang April über die Panama Papers, genauer gesagt über seine Verbindung zu einer zwielichtigen Offshore-Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln, gestolpert war.

Island, derzeit mehr oder weniger kollektiv im Fußball-EM-Taumel, befindet sich seit dem Bankencrash von 2008 in einer Art Dauerkrise. Nach den ursprünglich durch Massenproteste erzwungenen politischen Umwälzungen der letzten Jahre hatte die im Herbst scheidende Regierung aus Rechtsliberalen und Konservativen die Kandidatur Islands für den EU-Beitritt zurückgezogen. (Andreas Stangl, 26.6.2016)