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Wenn in einer Partnerschaft einer "ich verlasse dich" ruft, kommt zuerst der Schock, dann der Zorn – und dann hoffentlich eine Zeit, in der man sich zusammensetzt und ruhig die Details der Scheidung bespricht. Zwischen Großbritannien und der EU muss das möglichst bald geschehen, noch bevor die Briten den Austritt nach Artikel 50 formell anmelden.

Die übrigen Europäer haben nun zwei Möglichkeiten: Sie können den Briten das zukünftige Zusammenleben besonders schwer machen, um andere austrittswillige Mitgliedsstaaten abzuschrecken. Aber das würde beide Seiten schaden.

Oder sie suchen einen Weg, wie sich das zukünftige Verhältnis für alle am vorteilhaftesten gestalten lässt. Zum Glück existiert ein Rahmen, der sich für einen Fall wie Großbritannien gut anbietet – der Europäische Wirtschaftsraum (EWR).

Österreich war kurz dabei

Der EWR wurde in den frühen 1990er Jahren zwischen der EU und der Efta ausgehandelt und ermöglicht es, Nicht-EU-Staaten am Binnenmarkt teilzuhaben. Österreich war ein Jahr vor seinem Beitritt dort auch dabei. Der EWR eignet sich für Staaten, die wirtschaftlich mit der EU eng verflochten sind, aber auch politischen, kulturellen und sozialen Gründen nicht Mitglied sein wollen – so wie die Briten.

Derzeit sind Island, Norwegen und Liechtenstein Mitglied. Die Schweiz hätte 1992 wohl auch für den Beitritt gestimmt, wenn seine Politiker diesen nicht als ersten Schritt zur EU-Mitgliedschaft verkauft hätten. In den folgenden Jahren ist die Schweiz über bilaterale Verträge de facto EWR-Mitglied geworden.

Nicht rational, aber besser als nichts

Rational lässt sich eine EWR-Mitgliedsschaft nicht gut rechtfertigen: Man muss darin viele der EU-Regeln befolgen und ins gemeinsame Budget einzahlen, ohne aber bei den Entscheidungen mitreden zu können. Aber Europapolitik ist, wie man beim Brexit sieht, nicht immer rational. Und der EWR ist immer noch besser, als vom Binnenmarkt völlig ausgeschlossen zu sein.

Gerade, dass der EWR nicht besonders attraktiv ist, macht ihn für die EU zu einer guten Option. Andere Staaten würden sich nicht unbedingt anstellen, um per Referendum von der EU in den EWR zu wechseln.

In zwei Jahren machbar

In den zwei Jahren, die die EU-Verträge für Exit-Verhandlungen vorsehen, lassen sich komplexe bilaterale Freihandelsabkommen nicht fertigstellen. Das braucht ein Jahrzehnt. Aber dem Wechsel von der EU in den EWR ließe sich für Großbritannien in dieser Zeit leicht vereinbaren.

Für die britischen Banken und die Industrie ist der Zugang zum Binnenmarkt lebensnotwendig, und daher auch für die übrige EU-Wirtschaft von großem Vorteil. London könnte auch zusätzlich eine Zollunion mit der EU abschließen und dadurch weiterhin bei internationalen Handelsgesprächen mit eingeschlossen sein. Aber zwingend ist das nicht.

Zugeständnisse bei der Freizügigkeit

Eine große Hürde gilt es für eine britische EWR-Mitgliedsschaft zu überwinden: Der Binnenmarkt sieht den freien Zuzug für alle Bürger vor – genau das, was die britischen Wähler am meisten gegen die EU aufgebracht hat. Es ist ausgeschlossen, dass dies eine britische Regierung akzeptieren kann.

Allerdings gibt es gute Gründe für die EU-Partner, den Briten hier ein wenig entgegen zu kommen, indem sie etwa eine Obergrenze beim zukünftigen Zuzug zulassen.

Rechtssicherheit für EU-Bürger im Land

Erstens ist es ihr dringendstes Interesse, den Status der schon im Land befindlichen drei Millionen EU-Bürger abzusichern. Das gilt ganz besonders für Polen.

Zweitens hat die EU ein ähnliches Problem mit der Schweiz, wo die Wähler bereits für solche Grenzen gestimmt haben. Auch hier ist es in niemandes Interesse, die bilateralen Verträge platzen zu lassen.

Und drittens wird die EU ohnehin in den kommenden Monaten und Jahren die volle Freizügigkeit der Arbeitnehmer hinterfragen müssen. Auch in Österreich bröckelt angesichts großer Zuzugs – und Arbeitslosenzahlen die Unterstützung für dieses an sich richtige Konzept. Wenn man sich fragt, in welchen Bereichen die EU-Spitzen die Bürger überfordert haben, landet man schnell bei der Freizügigkeit.

Ausgangspunkt für eine Rückkehr

Der EWR ist klein genug, um eine gewisse Flexibilität zuzulassen. Ein Deal mit London müsste daher möglich sein.

Und die Briten doch nahe an der der EU zu halten, hätte einen weiteren Vorteil: Vielleicht will eine neue Generation von britischen Politikern und Wählern der Union doch wieder beitreten, die am Donnerstag vor allem die Älteren abgelehnt hatten. Für ein EWR-Mitglied wäre das nicht so schwer. (Eric Frey, 25.6.2016)