Nach langwierigen, diskreten Verhandlungen steht laut israelischen Medienberichten eine formelle Aussöhnung zwischen Israel und der Türkei unmittelbar bevor. Unterhändler der früher verbündeten, aber nun seit Jahren zerstrittenen Länder sollen am Sonntag wieder zusammentreffen und danach verkünden, dass ein Abkommen perfekt ist.
Am Mittwoch soll das Dokument dann vom israelischen Sicherheitskabinett ratifiziert werden. Der weit rechts stehende Avigdor Lieberman, der früher Konzessionen an die Türkei immer wieder abgelehnt hat, soll jetzt in seiner neuen Funktion als israelischer Verteidigungsminister keine Einwände mehr haben.
Hilfsgüter in den Gazastreifen
Die höchste Hürde ist die von Tayyip Erdogan schon als Premier und dann als Präsident auch öffentlich geäußerte Forderung gewesen, dass Israel die Blockade des Gazastreifens beenden müsse. Sie war für Israel unannehmbar und wird letztlich auch nicht erfüllt. Aber der Türkei soll garantiert werden, dass sie über den nahen israelischen Hafen von Ashdod nach Belieben Hilfsgüter in den Gazastreifen transferieren kann. Zudem bekommen die Türken grünes Licht für die Errichtung eines Elektrizitätswerks, einer Wasserentsalzungsanlage und eines Spitals in dem von der islamistischen Palästinensergruppe Hamas kontrollierten Gebiet.
Umgekehrt wird auch die zentrale israelische Forderung, dass eine mutmaßliche Operationszentrale der Hamas in Istanbul geschlossen werden müsse, anscheinend nicht erfüllt. Es heißt, Ankara würde lediglich dafür sorgen, dass die Hamas von der Türkei aus keine Anschläge planen könne.
Gemeinsame geostrategische Interessen der beiden nichtarabischen Nahoststaaten waren besonders in den 1990er-Jahren die Grundlage für eine enge politische, militärische und wirtschaftliche Kooperation gewesen. Man teilte Geheimdienstinformationen über den gemeinsamen Feind Syrien, Israel rüstete türkische Kampfflugzeuge und Panzer amerikanischer Herkunft auf, und israelische Kampfpiloten durften im türkischen Luftraum trainieren.
Wasser und Touristen
Zugleich plante man gigantische Wasserlieferungen aus dem niederschlagsreichen Anatolien ins dürre Israel, und Massen von Israelis urlaubten in den billigen und nahen türkischen Badeorten. Nach dem Antritt Erdogans, der sich von Europa ab- und der islamischen und arabischen Welt zuwandte, die Hamas protegierte und scharfe Verbalattacken gegen Israel startete, wurden die Beziehungen immer schlechter.
Der Tiefpunkt kam im Mai 2010, als eine "Gaza-Freiheitsflotte" von der Türkei aus losfuhr, um die israelische Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Israels Kriegsmarine stoppte den Konvoi, bei Kämpfen auf dem Schiff Mavi Marmara wurden zehn türkische Aktivisten getötet.
Der Schwenk zurück in Richtung Normalisierung wird dadurch erklärt, dass Erdogan nach fast allen Seiten isoliert ist. Vor der Haustür in Syrien und Irak herrscht Chaos, es gibt Streit mit Russland und Spannungen mit der EU, während Israel sich an Griechenland und Zypern angenähert hat. Schon im März 2013, als Barack Obama in Jerusalem zu Besuch war, rang sich Israels Premier Benjamin Netanjahu unter dem Druck des US-Präsidenten im Zusammenhang mit der Mavi-Marmara-Affäre zu einer "Entschuldigung beim türkischen Volk" durch, und zwar "für alle Fehler, die zum Verlust von Leben oder zu Verletzungen geführt haben könnten". Auch zu Entschädigungszahlungen soll Netanjahu sich damals grundsätzlich bereiterklärt haben. Jetzt wird mit dem baldigen Austausch von Botschaftern gerechnet. (Ben Segenreich aus Tel Aviv, 24.6.2016)