Stefanie Sargnagel, "Binge Living. Callcenter-Monologe", € 16,90 / 150 Seiten, Redelsteiner Dahimène Edition (rde), 2013.

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Stefanie Sargnagel, "Fitness", € 16,90 / 292 Seiten, Redelsteiner Dahimène Edition (rde), 2015.

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Das Wien-Museum zeigt derzeit Hüte. Um den ihren kommt man dabei nicht herum. Gewiss ist er nämlich gerade der bekannteste im Land. Oder der zweitbekannteste nach Niki Laudas Kapperl. Was zum einen daran liegt, dass kaum noch Hüte getragen werden, und zum anderen daran, dass Stefanie Sargnagel die aktuellste "Kultautorin" Österreichs ist. Undenkbar ohne rote Baskenmütze.

Ins Café Weidinger gegenüber der Lugner-City, an einen anderen Lieblingsort, kommt sie mittlerweile nicht mehr nur für Bier, Spritzer und Zigaretten, sondern hält auch Hof. Bei Soda Zitrone und Melange. Und ganz unkompliziert. Einem großen deutsch-französischen Kultursender gilt der nächste Termin. Es sei grade viel los, meint sie zum STANDARD, gebe "da jetzt eben Sachen, die ich nicht wegschieben kann". Lesereisen etwa. "Hat man als Hype das Recht auf 1 Woche Ruhe? Oder muss man sich opfern bis zum Tod?", liest sich das im typisch ironischen Sargnagel-Ton auf Facebook.

"Ich glaub, ich bin eh ehrgeizig. Ich bin nur nicht sehr fleißig", sagt Stefanie Sargnagel während des Gesprächs eher beiläufig. Dabei hat sie innerhalb zweier Stunden fünf Seiten Interview gegengelesen.
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Mit unzähligen solcher Einträge hat es angefangen: "Ist das noch Kater oder schon Entzug?", "Wehret dem Anfängerkurs!", "Am Feminismus mag ich am liebsten dieses Hasserfüllte, Frustrierte." Unzählige weitere folgten. Es ist eine Mischung aus Sprachwitz, unerwarteten Sinnzusammenhängen und Uneitelkeit, die Sargnagels Miniaturen auszeichnet. Humor, so feucht wie ein hingerotzter Gelber und so trocken wie ein Raucherhusten. Aber wenn sie den Fernseher laufen hat, durchs Internet trollt oder am PC sitzt und schreibt, raucht sie ja auch Kette.

Zwei Bücher sind so entstanden. Auch ein E-Book, ein paar Artikel für Vice und Cartoons umfasst Sargnagels Produktion bis dato. Aber ein Vielfaches davon gibt es an Feuilleton- und Boulevardartikeln sowie Hasskommentaren. Die meisten, die sie kennen, haben wahrscheinlich mehr über sie gelesen als von ihr. Wie es sich eben gehört für einen Hype.

Anarchohumor fürs Feuilleton

Spätestens mit Fitness, dem vorigen Herbst erschienen Nachfolgedestillat der jahrelang im Netz gesammelten Statusmeldungen in Binge Living. Callcenter-Monologe, ist Sargnagel, bis dahin Internet- und Subkulturphänomen, auch in den etablierten, analogen Medien angekommen. "Es hat sich abgezeichnet, dass es wächst und wächst", blickt sie zurück. "Ich hatte schon immer Leute, die das gelesen haben, die keine Masse waren, aber was mit Medien zu tun haben."

Die Feuilletons überschlagen sich seither mit Hymnen, loben ihre neue Art des Nichtglatten. "Ich glaube, Anarchohumor hat ein bisschen gefehlt in den letzten Jahren", erklärt sie sich den Erfolg. Dass er damit zu tun haben könnte, dass sie eine Frau ist, glaubt sie nicht. Trotzdem haben in den letzten Jahren ein paar von ihrem Schlag Karriere gemacht: Lena Dunham (Girls), die Welt-Schnauze Ronja von Rönne, und, auch wenn der Vergleich eigentlich unzulässig ist, Schmuddelbuchtante Charlotte Roche. Allesamt direkt, inkorrekt, Scheidenträgerinnen.

Verlegerisch zu Hause ist sie bei der Wiener Redelsteiner-Dahimène-Edition. Einer der Geschäftsführer, Stefan Redelsteiner, ist auch Gründer von Problembär Records, wo u. a. die bier- und nikotinschwangeren Musikerzeugnisse von Wanda erscheinen. Über deren Album Bussi hat Sargnagel, übrigens sehr launig, in der Süddeutschen Zeitung geschrieben.

"Ich bin auf jeden Fall viel korrekter geworden."

Was macht ihre Texte nun aber aus? Ihre Sujets sind der Gemeindebau. Das "Eiter in heiter". Das soziale und künstlerische Prekariat, das sie wie eine Monstranz vor sich herträgt und das zugleich nirgends sonst so unsentimental daherkommt. Sie kokettiert mit dem Alkohol und dem Anschein des Asozialen, freut sich an Körperfunktionen, -gerüchen und -säften. Bio, trendy und gesund sind Bobo-Schnickschnack, Bürgerlichkeit ist lächerlich bis ein Ärgernis. Ihr Tummelplatz sind die Grenzen des "guten" Geschmacks, ihr Lebenszeichen ist das Lachen, das laut herausbricht.

Die vom Setting her unambitioniertesten Texte sind dabei oft die besten. Am liebsten hat sie Zweizeiler: "Ich hab immer das Gefühl, ich könnt alles weglassen, will möglichst schnell auf den Punkt kommen." Und passt schon! Notwendig brachial, richtig derb oder hinterfotzig klug pirscht sie sich an den Leser an, bis er merkt – die ist schon g'scheit!

Ein (a)soziales Netzwerk

Nicht jeder Schuss auf Facebook und Twitter ist ein Treffer, vieles ist belanglos. "Manchmal schreib ich tagelang nur fade Sachen, und dann kommen wieder mal gute. Es ist eher ein Bedürfnis von mir, dass ich mich mitteile, wobei ich gar nicht so einen Anspruch hab. Ich such auch nicht verkrampft", sagt sie. Aber die Masse macht's. In der finden sich dann Perlen, scharfe Analysen, die sie in ihre Bücher packt.

Das (a)soziale Netzwerk Facebook ist aber nach wie vor ihr wichtigstes Sprachrohr. 1986 als Stefanie Sprengnagel geboren, heißt sie dort seit der Klarnamenregelung wieder so. Freunde nimmt sie nicht mehr an, abonniert haben sie aber mehr als 30.000. Früher hat Sargnagel alles mit ihnen geteilt. Bei manchen Inhalten ist ihr das inzwischen aber zu heikel. Kritik an Linken postet sie etwa nur mehr geheim, weil diese "sonst von Rechten instrumentalisiert wird. Das will ich vermeiden". Egal sind ihr hingegen die Shitstorms, die sie erntet. Seit sie mehr Reichweite hat, sind ihre Postings politischer. Klar: "Davor haben ja nur Leute meine Sachen gelesen, von denen ich wusste, dass sie meine Meinung teilen."

Fett, schiach, Sozialschmarotzerin oder hirnamputiert schimpfen vor allem FPÖler und Identitäre sie jetzt, wenn sie über deren Demos, Burschenschaften oder H.-C. Straches Eichel schreibt. So wie jemand es eben tut, wenn ihm die Argumente ausgehen. Das verfolgt sie und feuert zurück: "Ich denk mir manchmal, es ist unprofessionell, aber es macht Spaß."

Ärgerlich muss es hingegen sein, wenn ihr Profil wieder einmal gemeldet und sie für drei Tage von Facebook gesperrt wird. Sorgen tut sie sich wegen der An- und Untergriffe nicht. "Dadurch, dass es doch 30.000 Leute lesen, wenn ich etwas schreib, fühl ich mich recht sicher. Lesen es nur 3000, würd ich manches vielleicht anders angehen", sagt sie. "So eine Öffentlichkeit gibt einem schon eine gewisse Narrenfreiheit."

Trias als Authentizitätsboost

Dass manches so sehr provoziert, fällt ihr aber erst auf, seit sie eben nicht mehr nur von ihrer "Blase" gelesen wird. Sie mache nichts aus reiner Provokation, habe aber eine antiautoritäre Veranlagung, einen gewissen Gerechtigkeitssinn, sei skeptisch gegenüber Haltungen, sagt Sargnagel über sich. Und dass sie "Menschen mag. Ich würde mich dem sonst gar nicht so widmen." Oft hat sie das Gefühl, dass etwas radikaler interpretiert werde, als es gemeint sei.

Das kennt sie schon aus der Schule. Die hat sie in Währing besucht, aufgewachsen ist Sargnagel aber in einem "bäuerlichen Arbeitermilieu" in einer normalen Privatwohnung in Hernals und war erstaunt, wie schnell die bürgerlichen Kinder einen wegen "derberer Sprache gleich so oag finden. Scheißen und brunzen, alles ganz normale Wörter halt".

Schon damals kam das Internet ihrem Mitteilungsbedürfnis, das sie heute noch antreibt, zu Hilfe. Seit sie 15 wurde, teilt sie Alltagsbeobachtungen und Zeichnungen online. Mit diesen Comics, gestopft in ein Supermarktsackerl, hat sie sich dann auch für das Malereistudium auf der Angewandten beworben, wurde genommen, ging aber fast nie hin. Sie wollte Illustration statt Ölmalerei. Dass Humoristisches weniger wert sein soll als ernste Kunst, versteht sie noch immer nicht und sagt: "Auch ein Witz kann eine starke Tiefe haben." Zudem sei das Unverblümte, Enttabuisierte einfach authentischer und wahrhaftiger, fühlt sie sich "von kaputteren, grauslicheren Sachen mehr angezogen."

"Es läuft alles ganz gut, ich verkaufe viele Bücher. Aber was jetzt wirklich Erfolg ist? Ich find, möglichst wenig arbeiten müssen ist viel Erfolg. Und ein gesundes Sozialleben haben."

Mit zu ihrem biografischen Authentizitätsboost gehört die marketingtechnisch schwer strapazierte Trias Callcenter, Beisl und Gemeindebau. In Letzterem wohnt sie, seit sie 20 ist. Die beiden Ersteren hat sie inzwischen aber vollständig bzw. zum Teil hinter sich gelassen. Die Telefonauskunft wegen der Bucherfolge, die Beisln, weil sie im Jänner 30 geworden ist: "Wenn du mit 20 sagst, ich bin besoffen im Beisl eingeschlafen, ist das normal. Wenn du das mit 30 schreibst, klingt's einfach echt traurig." Außerdem sei sie jetzt zwei Tage fertig, wenn sie fortgehe. Dann komme man zu nix mehr. Das geht nicht für eine selbstständige Autorin mit Lesereisen, Verträgen, Steuerberater, E-Mails.

Verliert sie gerade ihre unmotivierte, unambitionierte Glaubwürdigkeit? Auch wenn sie manches humorvoll meine, müsse sie jetzt öfter als damals, da sie noch prekärer gelebt habe, darüber nachdenken, ob sie etwas poste oder nicht. "Es ist leichter, über sein Pleiteleben zu erzählen als über Erfolgserlebnisse", gibt sie zu. "Da fühlen sich viele verstanden, weil es ihnen auch so geht."

Literatur sein dürfen oder nicht

Andererseits kann Sargnagel schlecht Geschichten erfinden. Wie sehr kalkuliert sie also mit dem, was sie schreibt? "Es muss schon einen real erlebten Bezug haben – wo man dann überspitzt, weglässt, übertreibt." Auch Auftragstexte nimmt sie kaum mehr an. Einerseits sei ihr eigener Anspruch oft zu hoch, weil sie finde, dass "Künstler oft einen Blödsinn schreiben, weil sie eben nicht Experten für alles Mögliche sind." Andererseits ist es ihr zu stressig.

Und dann also zehn Seiten Bachmanntext! Die Einladung hat sie selbst gewundert, Literaturhäuser klopfen im Gegensatz zu allen anderen selten bei ihr an. "Ich mag eine einfache, reduzierte Sprache, deshalb wird's von manchen Institutionen nicht literarisch gewertet", erklärt sie ihren "lakonischen Erzählstil. Dabei mach ich das ja absichtlich. Nicht alles, was ich auf Facebook stell, aber es gibt Texte, von denen ich sagen würde, sie haben eindeutig literarischen Wert." Dass sie dank ihrer Netzgemeinde Favoritin für den Publikumspreis ist, weiß sie, findet es "fast unfair".

Ob sie Pläne für die Zukunft hat? "Finanzielle Stabilität und Freiheit." Mittlerweile zeichnet sie wöchentlich für den Falter, diese Arbeit sei das Chilligste. Ist sie eine Erbin Hermes Phettbergs? "Er ist halt mehr so intellektuell." Auch Animationsfilme würde sie gerne machen, einen Rap-Track aufnehmen, "Meine Themen ändern sich, das ist ganz interessant. Es wäre langweilig, wenn man immer gleich bleibt, bis man stirbt." Und traurig. Traurig aber ist Stefanie Sargnagel nicht. (Michael Wurmitzer, Album, 25.6.2016)