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Foto: Reuters/REINHARD KRAUSE

Es mag viele gute Gründe für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union gegeben haben. Aber es gab einen besseren für den Brexit – nämlich die Union als solche. Ohne London hat die EU die Chance, stärker als je zu vor aus den multiplen Krisen hervorzugehen, von denen sie nun schon seit Jahren geschüttelt wird.

Die Briten wollten in ihrer gut 40-jährigen Mitgliedschaft nie besonders viel zum Gelingen der europäischen Solidargemeinschaft beitragen. Bereits im Frühjahr 1988 fasste ein grantiger Jacques Chirac am Rande von Verhandlungen über Agrarsubventionen die Kalamitäten mit den Briten (damals personifiziert von Margaret Thatcher) quasi letztgültig zusammen: "Was will diese Hausfrau denn noch von mir? Meine Eier auf einem Tablett?" Viel geändert hat sich seither nicht. Im Gegenteil: Wenn die Verzweiflung über die Briten wieder einmal besonders groß war, witzelten europäische Spitzendiplomaten, sie würden irgendwann eine NGO gründen, die für den Austritt Londons Stimmung macht.

Anlässe zur Verzweiflung gab es tatsächlich viele: Neben dem – nur mit britischer Zustimmung kündbaren – Britenrabatt bei den EU-Beiträgen haben sich die Briten zuletzt beinahe für alles und jedes Ausnahmeklauseln herausverhandelt: die EU-Grundrechtecharta, den Euro (und dessen Rettung, samt Fiskaldisziplingesetzen), bei der Überführung des Schengenrechts in das EU-Recht. Es verwunderte beinahe schon, dass London sich nicht auch ein Opt-out vom Opt-out sichern wollte, um seine europäischen Partner noch ein wenig mehr zu sekkieren.

So gesehen ist es auch irrelevant, dass die Briten neben den Deutschen und Franzosen die Einzigen in der EU waren, die signifikante militärische und diplomatische (BBC inklusive) Kapazitäten besaßen, um der Union eine größere Geltung in der Welt zu verschaffen – für die EU haben die politischen Insulaner diese Fähigkeiten ohnehin kaum je eingesetzt.

Nach dem definitiven Opt-out mag das Pro-Brexit-Lager nun also getrost ein neues Imperium aus Großmacht-Reminiszenzen und Fantastereien einer nationalen Eigenständigkeit in der globalisierten Welt errichten. An Brüssel liegt es währenddessen, London klarzumachen, dass draußen tatsächlich auch draußen meint – und zwar vor allem bei der Personen-, Kapital- und Warenfreizügigkeit, dem Binnenmarkt also.

Dabei geht es nicht darum, den Briten zu schaden. Vielmehr ist es nötig, den verbleibenden 27 Mitgliedern vor Augen zu führen, dass die Union eine politische Solidargemeinschaft und kein Selbstbedienungsladen vaterländischer Marodeure ist. Begreifen müssen das allen voran Viktor Orbán und Konsorten, lässt der ungarische Premier in Budapest doch die Losung vom Freiheitskampf gegen Brüssel ausgeben, während er für die Milliardensubventionen der EU gerne beide Hände aufhält. Nach dem Brexit sollten alle begreifen, dass dieses Verhalten keine Option mehr ist.

Kritik an der Union ist eine Sache. Offene Vertragsfeindlichkeit eine andere. Soll das Projekt bestehen bleiben, darf es in der EU nur Mitgliedschaft oder Austritt geben – in beiden Fällen mit allen Konsequenzen. There is no such thing as a free lunch, sagen die Briten gerne. Stimmt. Es gibt nichts umsonst. Im Klub nicht und außerhalb schon gar nicht. In diesem Sinne: Baba, Britain! (Christoph Prantner, 24.6.2016)