Das Pfund fällt auf ein historisches Tief seit 1985.

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Nicht wenige Marktteilnehmer an Europas Börsen wurden am Freitagmorgen auf dem falschen Fuß erwischt. In den letzten Tagen vor dem Referendum hatte sich bei den meisten Analysten die Annahme durchgesetzt, die Briten würden sich für einen Verbleib in der Union entscheiden. Ihre Überraschung spiegelte sich vor allem zu Handelsbeginn in immensen Kursverlusten wider. Am Ende des Tages musste man von einem "Schwarzen Freitag" sprechen. Der Crash hat laut einem Händler weltweit fünf Billionen Dollar an Börsenwert vernichtet. Dies entspricht dem Doppelten der britischen Wirtschaftsleistung.

Bemerkenswert ist, dass die britischen Indizes selbst nur um gut drei Prozent nachgaben – ein Hinweis darauf, dass auf der Insel die Möglichkeit eines Austrittsvotums im Vorfeld realistischer eingeschätzt wurde als auf dem Kontinent. Der Wiener Leitindex ATX verlor 6,8 Prozent. Der wichtigste britische Index, der FTSE 100, hat nur halb so viel verloren. Der Dow-Jones-Index fiel um 3,4 Prozent auf 17.400 Punkte.

Am Freitagabend senkte die Rating-Agentur Moody's den Ausblick für Großbritannien von zuvor "stabil" auf "negativ" und bestätigte die Kreditwürdigkeit Großbritanniens mit "AA1" – eine Note unter dem Bestwert "AAA". Das Rating für die EU beließ die US-Agentur bei "AAA".

Bankaktien leiden

Am stärksten unter die Räder kamen hier wie dort Bankaktien. Zahlreiche Institute sackten an der Börse auf ihren niedrigsten Kurs seit Jahren ab. In Wien notierte Erste Group elf Prozent tiefer. Dabei sind Österreichs Institute nur indirekt betroffen. Viel stärker leiden dürften die großen Investmentbanken mit Sitz in London.

Ein Grund, warum die britische Finanzbranche vehement für einen Verbleib in der EU geworben hatte: Nach dem Austritt wird es für die Banken deutlich schwieriger, im europäischen Binnenmarkt tätig zu sein. Grenzüberschreitende Angebote oder Niederlassungen im EU-Ausland dürften zurückgefahren werden. Wie schwierig die Ausverhandlung eines alternativen Handelsabkommens ist, zeigt das Beispiel Schweiz. Deren Instituten ist es wegen der Erschwernisse nie gelungen, in den Nachbarländern groß aufzutrumpfen.

Wegfall von Regularien

Auf der Habenseite stehen für die City of London hingegen mögliche Gewinne durch den Wegfall solcher regulativer Auflagen. So könnten sich Banker vielleicht schon bald über den Wegfall der Beschränkungen von Bonuszahlungen freuen. Das gilt auch für andere Branchen: Die Aktien von britischen Tabakkonzernen gewannen am Freitag sogar an Wert.

Heftig fielen die Reaktionen auch bei den Wechselkursen aus. Am Vormittag stürzte das britische Pfund auf den tiefsten Wert seit 1985, weil Anleger panikartig Geld abzogen. Das Pfund erholte sich kaum von dem Schock und verlor gut vier Prozent zum US-Dollar. Die Einbußen des Euro gegenüber der US-Währung reduzierten sich im Tagesverlauf auf ein Prozent. Die Notierungen für Gold, deutsche Staatsanleihen sowie den ebenfalls als "sicherer Hafen" geltenden japanischen Yen gingen hingegen nach oben.

Märkte sollten sich stabilisieren

Generell rechnen vom STANDARD befragte Finanzexperten mit einer baldigen Erholung: "Die Aktienmärkte werden sich natürlich stabilisieren, nur der Zeitpunkt ist schwer vorauszusagen", sagte Fritz Mostböck, Chefvolkswirt der Erste Bank. Das könne in der kommenden Woche der Fall sein oder auch später. Weil man über keine Erfahrungswerte für einen Austritt aus der Europäischen Union verfügt, sei die Lage schwer einzuschätzen.

Auch was die unmittelbare wirtschaftliche Entwicklung angeht, herrscht Unsicherheit. Lehrbuchmäßig sollte beispielsweise ein schwächeres Pfund einen Impuls für die britische Exportwirtschaft bedeuten, weil ihre Produkte dadurch im Ausland günstiger zu haben sind. Mostböck glaubt jedoch, dass internationale Organisationen mit ihren Prognosen richtig liegen und die negativen Folgen überwiegen.

Mögliche Kapitalflucht

In erster Linie betrifft dies die mögliche Abwanderung von Investoren. Fast die Hälfte aller Auslandsinvestitionen in der Volkswirtschaft kommen aus dem Rest der Union.

Infrage stellen könnte die Brexit-Entscheidung auch die geplante Fusion der Börse Frankfurt mit der London Stock Exchange. Das Ansinnen, das Unternehmen in London anzusiedeln, wird in Deutschland nun kritischer gesehen. Überhaupt darf sich Frankfurt Hoffnungen machen, dass so manches Institut seinen Geschäften bald nicht mehr an der Themse, sondern am Main nachgeht. (Simon Moser, 25.6.2016)