Auch die großen IT-Konzerne wie Microsoft wollen effektiv gegen Übergriffe im Netz vorgehen.

APA/Schulze

Wien – Die Auswirkungen von Hasspostings, Cyber-Bullying und anderen Missbräuchen der Internet-Kommunikation auf die Opfer würden meist unterschätzt, sagt der Kriminalrechtsexperte Albin Dearing, einst Kabinettschef Justizministerin Maria Bergers (SPÖ), heute Abteilungsleiter bei der EU-Grundrechteagentur (FRA) mit Sitz in Wien. So seien Kinder aktuell bereits ab dem Volksschulalter von Cyber-Bullying – Diffamierung und Nötigung via sozialer Medien – betroffen.

Und das mit schlimmen Folgen: Ein Drittel der betroffenen Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren hätte laut einer irischen Studie bereits an Selbstmord gedacht. Ein Fünftel von ihnen habe gar schon einen Suizidversuch unternommen. "Oft heißt es, Hass im Netz hinterlasse im Unterschied zu sogenannter normaler Kriminalität niemanden blaugeschlagen. Doch derlei Übergriffe treffen Menschen tief, in dem was ihre persönliche Identität ausmacht", erläutert Dearing.

Drei Tage über Grundrechte

Besagte irische Expertise wurde von Geoffrey Shannon, dem irischen Sonderberichterstatter über Kinderrechte, in eine von insgesamt 27 Arbeitsgruppen des EU-Grundrechteforums eingebracht. Dieses tagte bis inklusive Donnerstag in Wien – und widmete sich, neben dem Themen Flüchtlingsschutz und Inklusion/Integration auch Grundrechtsfragen, die mit Datenschutz und Wahrung der Privatsphäre im digitalen Zeitalter in Zusammenhang stehen.

So der Frage, wie es um das Spannungsverhältnis zwischen "freier Meinungsäußerung, Hassreden und Anonymität im Netz" – so ein Arbeitsgruppenthema – bestellt sei. Hier lasse eine staatenvergleichende Studie des Europarats darauf schließen, dass sexistische Hassreden vor allem ökonomisch gut dastehende Frauen einschüchtern sollten, erläuterte Carolina Lasén Diaz, Leiterin der dortigen Abteilung für Gendergleichstellung.

Sexismus in Frankreich und Schweden

Denn, so die Studie: Am ausgeprägtesten seien sexistische Hassreden in Frankreich und in Schweden – zwei Länder, in denen der wirtschaftliche Status von Frauen im Europavergleich hoch sei.

Um derlei Hass im Netz effizient zu begegnen, gelte es, "die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen", meint Dearing. Und es müsse "noch viel Bildungs- und Erziehungsarbeit geleistet werden. An allen Orten im Netz sollte es Hinweise geben, dass die Rechte anderer zu beachten sind. So wie im Fußball, wenn es vor jedem Spiel 'Say no to racism' heißt."

Derlei Maßnahmen sind jedoch nicht ohne Vereinbarungen mit IT-Unternehmen zu machen. Daher – so Michal Bodi, christdemokratischer Abgeordneter im Europaparlament – komme dem am 31. Mai in Brüssel präsentierten Verhaltenscodex zur Bekämpfung von illegaler Online-Hetze in Europa "zentrale Bedeutung" zu.

Firmen entfernen Hassreden

Besagter zwischen der EU-Kommission und den vier führenden IT-Firmen Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft vereinbarte Codex sieht vor, dass radikalisiernde, rassistische und anderweitige verhetzende Kommentare von den Firmen künftig binnen 24 Stunden aus dem Netz entfernt werden sollen. Doch auch darüber hinaus ist es großen Internet-Playern ein Anliegen, mit europäischen Institutionen und Politikern zusammenzuarbeiten.

Etwa, um eine Harmonisierung der 28 nationalen Regelungen zu erreichen, die den Firmen Probleme bereiteten – sagte Cornelia Kutterer von Microsoft in einer Arbeitsgruppe am Donnerstag. Hier sieht Bodi gegenläufige Entwicklungen: "Überall dort, wo populistische, nationalistische Kräfte an die Macht kommen." (Irene Brickner, 23.6.2016)