Stjepan Mesic war der letzte Präsident Jugoslawiens.

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STANDARD: Sie waren von Juni bis Dezember 1991 der letzte Präsident Jugoslawiens. Welche Politik haben Sie damals verfolgt?

Mesic: Zu der Zeit haben sich Kroatien und Slowenien in allen Schritten abgestimmt. Wir wollten ein Abkommen über eine Art Konföderation für drei bis fünf Jahre. Damit hätte man den Krieg vermeiden können. Das war aber nicht möglich, weil Slobodan Milosevic die gesamte Weltöffentlichkeit und die Serben betrogen hat. Sein Ziel war es damals, auf den Ruinen Jugoslawiens ein ethnisch sauberes Großserbien zu schaffen. Es war nicht möglich, mit ihm eine neue politische Vereinbarung zu treffen.

STANDARD: Haben Sie den Krieg in Slowenien erwartet?

Mesic: Ja, die Welt hat Jugoslawien falsch wahrgenommen und war sentimental wegen der positiven Rolle, die es während des Kalten Kriegs gespielt hatte. Milosevic stellte es so dar, als würde er für Jugoslawien kämpfen, und die Welt glaubte ihm. Aber er tat alles, um Jugoslawien zu zerstören. Auch der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher war sentimental gegenüber Jugoslawien. Wir hatten ein Inkognito-Treffen. Das Gespräch sollte 20 Minuten dauern, geblieben sind wir aber viereinhalb Stunden. Ich habe Genscher meine Hauptthese dargelegt, dass Jugoslawien in der Form nicht erhalten bleiben kann und dass sich Milosevic für den Krieg entschieden hatte.

STANDARD: Und schenkte Ihnen Genscher Glauben?

Mesic: Am Anfang nicht, da war er skeptisch. Ich habe ihm gesagt, dass der Krieg in Slowenien kurz sein wird, weil es in Slowenien keine autochthone serbische Bevölkerung gibt, dass der Krieg in Kroatien sehr blutig sein wird, weil Milosevic einen Teil des Territoriums will, in dem Serben leben, und dass der Krieg in Bosnien-Herzegowina brutal und grausam sein wird, weil Milosevic 63 Prozent des bosnischen Territoriums möchte. Am Ende hat mir Genscher geglaubt, und seine Frage war, wer Slowenien und Kroatien anerkennen werde, wenn diese sich für unabhängig erklären. Ich habe gesagt: Ungarn, Sie und der Vatikan. Er meinte: Es wäre am besten, wenn wir mit einem neutralen Staat beginnen, das erste Land soll Island sein.

STANDARD: Hat der Slowenien-Krieg etwas verändert?

Mesic: Europa erkannte, dass Milosevic keine Vereinbarung will, aber es war schon zu spät. Die Uno hat ein Waffenembargo gegen Slowenien und Kroatien erlassen. Serbien hatte die gesamten Waffen der Jugoslawischen Volksarmee. Wir hatten kein Recht, eine Armee aufzubauen. Also haben wir im Rahmen des Innenministeriums die Nationalgarde gegründet. Die ist so wie die französische Gendarmerie, also Polizisten, die lange Schusswaffen tragen dürfen. Aus dieser Einheit wurde später unsere Armee.

STANDARD: Wenn Milosevic nur die Sprache der Waffen verstanden hat, hätte man dann nicht schon viel früher härter und militärisch gegen ihn vorgehen müssen?

Mesic: Ja. Man hätte stärker auftreten müssen. Auf der anderen Seite war niemand da, der das hätte machen können. Die Europäische Gemeinschaft hatte keine Mechanismen, die Nato war nicht vorbereitet. Das wusste Milosevic genau. Er war ja nicht dumm, sondern innerlich verdorben. Ich habe ihm gesagt: "Slobodan, pass auf, denn je länger das alles dauert, desto größer wird der Schaden für alle sein! Serbien wird der Schuldige für alle Auseinandersetzungen sein und wird ein Schamzeichen tragen. Dich werden noch deine Serben auf der Terazije-Straße in Belgrad aufhängen!" Milosevic saß mit seinem Zigarillo und dem Whiskey da und sah mich an. Und dann habe ich ihm gesagt: "Slobodan, ich habe nur eine Bitte." Er sagte: "Lass hören!" Dann sagte ich: "Wenn sie dich dort aufhängen, dann denke bitte an mich, und ich werde an dich denken!" Und Milosevic sagte: "Wir werden noch sehen, wer da aufgehängt wird!"

STANDARD: Haben Sie ihn danach wiedergesehen?

Mesic: In Den Haag, da war er als Beschuldigter, ich als Zeuge. Ich sagte: "Kannst du dich an unser Gespräch erinnern?" (Adelheid Wölfl, 24.6.2016)