Miesmuscheln an der Küste von West Vancouver, Kanada.

Foto: Susan A. Baldwin

New York – Bei Muscheln kann Krebs "ansteckend" sein. Eine Leukämie-ähnliche Erkrankung kann bei den Schalenweichtieren von einem Exemplar auf ein anderes übertragen werden, berichten Forscher im Fachblatt "Nature", offenbar sogar zwischenartlich. Die Ergebnisse zeigten eine bemerkenswerte Fähigkeit von Tumoren, ihr Überleben und ihre Verbreitung sicherzustellen, so die Forscher um Michael Metzger (Columbia University in New York).

Metzger und sein Team haben drei Muschelarten genauer untersucht: eine Miesmuschel-Art (Mytilus trossulus), die Gemeine Herzmuschel (Cerastoderma edule) sowie die Goldene Teppichmuschel (Polititapes aureus). Eine Krebserkrankung äußert sich bei den Tieren durch einen Überschuss an großen, veränderten Zellen im Kreislaufsystem. Die Hämolymphe, die bei einigen Tiergruppen als zirkulierende Körperflüssigkeit dient und einer Mischung aus Blutplasma und Lymphflüssigkeit ähnelt, erscheint bei erkrankten Muscheln verdickt und undurchsichtig, das Gewebe der Tiere verwuchert nach und nach mit Krebszellen.

Erbgutanalyse

Die Wissenschafter sammelten an verschiedenen Gebieten in Spanien und Kanada Muscheln der drei Arten und bestimmten, ob ein Tier erkrankt war oder nicht. Anschließend analysierten sie das Erbgut der Krebszellen sowie von normalem Gewebes. Auf diese Weise stellten sie fest, dass bestimmte genetische Merkmale im veränderten Gewebe nicht mit denen im gesunden Gewebe übereinstimmten. Allerdings fanden sie in den Tumoren verschiedener Tiere die gleichen Merkmale. Dies deute darauf hin, dass die Krebszellen zwischen einzelnen Tieren übertragen werden können, folgern die Forscher.

Bei der Goldenen Teppichmuschel fanden sie in Krebszellen gar die genetische Signatur einer anderen Art – die der Getupften Teppichmuschel (Venerupis corrugata). Und das, obwohl bei dieser Art im Freiland noch keine Krebserkrankung festgestellt wurde. Möglicherweise habe die Getupfte Teppichmuschel im Verlauf der Evolution einen Weg zur Bekämpfung der Erkrankung gefunden.

Neue Fragen

"Unsere Versuche legen nahe, dass die Übertragung ansteckender Krebszellen ein weit verbreitetes Phänomen in der marinen Umgebung ist", schreiben die Wissenschafter. Im Allgemeinen sei ein Tumor meist auf eine Art beschränkt, die Übertragung zwischen Arten nach bisherigem Kenntnisstand die Ausnahme. Insgesamt seien nun acht ansteckende Krebslinien bei Tieren bekannt: Eine bei Hunden, zwei beim Tasmanischen Teufel (einem Beuteltier) und fünf bei Muscheln.

Das Potenzial von Krebszellen, zu frei lebenden, infektiösen Agenzien zu werden, werfe die Frage auf, was das für die Ansteckung von Krebs beim Menschen bedeutet, schreibt Elizabeth Murchison von der University of Cambridge (Großbritannien) in einem Kommentar ebenfalls in "Nature". Bisher sei so eine Übertragung von Mensch zu Mensch in seltenen Fällen, etwa nach Organtransplantationen oder in der Schwangerschaft, beobachtet worden.

Es seien aber jeweils Einzelfälle, die zudem nie über die beteiligten zwei Personen hinausgingen. Dennoch: "Das Krebsrisiko ist in vielzelligen Organismen angeboren, und der grundlegende evolutionäre Antrieb dieser Erkrankung respektiert keine individuellen Grenzen – und noch nicht einmal Artgrenzen." (APA, 23. 6. 2016)